Let’s Do It a Dada – Einstürzende Neubauten in der Muffathalle (Bericht)

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Baumärkte, sperrt die Schlagbohrer weg! Die Einstürzenden Neubauten sind in der Stadt. Am vergangenen Freitag gastierten die Berliner Industrial-Pioniere in München – treffenderweise in der Halle des vormals als Elektrizitätswerk genutzten Muffatwerks. Ab 19 Uhr öffneten sich die Pforten für ein überraschend heterogen zusammengesetztes Publikum: Jung traf Alt, Hornbrille traf Irokesenschnitt, und Trackingsandalen waren ebenso zu sehen wie Springerstiefel. Ein erstes Indiz auf das, was folgen sollte: Songs aus knapp 45 Jahren Bandgeschichte, intellektuell anspruchsvolle Texte, versehen mit einer gehörigen Prise Gegenkultur und ausgeklügelte Kompositionen, die sich feiner Momente ebenso bedienen, wie auch wuchtiger Dystopie-Klangmalereien.

Um Punkt 20.30 Uhr betraten die sechs Musiker – in order of appearence – Alexander Hacke, N. U. Unruh, Jochen Arbeit, Rudolph Moser und Felix Gebhard – die Bühne. Zu guter Letzt, begleitet von Jubel und einer düsteren Aura, Frontman Blixa Bargeld, der an diesem Abend mit weiß geschminktem Gesicht, zotteligen Haaren und einem Gehstock nicht nur entfernt an den berüchtigten Batman-Gegenspieler „Pinguin“ erinnerte. Schon wenige Augenblicke später wurde die Dunkelheit des Zuschauerraumes mit einem tragenden Synthesizer-Sound gefüllt. Der Opener „Pestalozzi“ vom jüngst erschienenen und Tour-Anlass gebenden Album „Rampen (apm: alien pop music)“ bildete tatsächlich eine Rampe hin zu all den ungewöhnlichen und gleichzeitig unheimlich interessanten Klängen, die folgen sollten.  Spätestens mit dem zweiten Song „Ten Grand Goldie“, einer perkussiv getragenen und vorwärts gerichteten Komposition inklusive gesampeltem Beduinen-Schlaflied, wie Bargeld erklärt, nahm das Konzert richtig an Fahrt auf und die Band zog das Publikum tief in ihren Bann.

© Thomas Rabsch

Was in den 1980er Jahren aus Geldmangel entstand, ist heute eines, wenn nicht das entscheidende Markenzeichen der Band: Die Verwendung von Alltagsgegenständen und Schrott als Instrumente. Neben Gitarre, Bass und Keyboard erklingen eine Druckluftpistole, eine Regentonne und Plastikrohre. Das Schlagzeug verzichtet von Anfang an auf eine Snaredrum zugunsten einer Stahlplatte. Die Roadies haben gut zu tun, fast nach jedem Song wird eine neue Kuriosität auf die Bühne gestellt. Vor der Ballade „Grazer Damm“ wird ein Einkaufswagen hereingebracht. Bargeld erzählt, die Band habe eigentlich keine Lust gehabt, aber dieser habe gebettelt: „Bitte, nehmt mich mal wieder mit auf Europa-Tournee.“ Also haben sie schließlich nachgegeben. Diese scherzhafte Ansage des Frontmans lässt tief blicken in die enorme Bedeutung, die dem Ensemble in der hiesigen Kulturlandschaft zukommt. Warum haben sie keine Lust auf den Wagen gehabt? „Mit dem haben wir in den 80ern unter Peter Zadek am Schauspielhaus Hamburg eine Million Vorstellungen gespielt.“ Der Anspruch der Band geht weit über den von üblicher Unterhaltungsmusik hinaus. Nicht umsonst arbeiteten sie in der Vergangenheit mit gestandenen Größen wie Heiner Müller oder Erich Wonder. Und nicht umsonst soll Bargeld (seiner eigenen Aussage zufolge) Professor für Poetik in Zürich werden.

Die Band verbindet brachiale Beats mit intellektueller wie düsterer kryptischer Lyrik und theatralen Momenten. Besonders eindrucksvoll gelingt das in der Zugabe „Let’s Do It a Dada“. Stahl schlägt auf Stahl, die Gitarre wummert und N. U. Unruh, gehüllt in ein Kostüm bestehend aus Umhang und übergroßem Zylinder, wie es der Dada-Pionier Hugo Ball einst im legendären Cabaret Voltaire trug, trägt ein Laut-Gedicht vor – ganz großes Kino!

Was nach knapp zwei Stunden Konzert neben einem leichten Tinnitus bleibt: Die Band hat trotz jahrzehntelanger Geschichte nichts an Kraft und Avantgarde-Anspruch einbüßen müssen. Die Mischung aus Lärm, Melodie und experimenteller Kunst erbringt den Beweis, dass die Einstürzenden Neubauten auch heute noch zu den innovativsten und eindrücklichsten Musikgruppen dieses Planeten gehören.

Bericht: Balthasar Wörner

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