Fulminante Show mit charmanten Ecken und Kanten – Ed Sheeran im Olympiastadion (Bericht)

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Erst die fünfte U-Bahn an der Münchner Freiheit ist gegen 18 Uhr nicht derart zum Bersten gefüllt, dass die meisten wartenden Fahrgäste am Bahnsteig stehenbleiben müssen. Ganz klar, dass es sich da um einen Weltstar handeln muss, dem die Menschen zuströmen: Ed Sheeran bespielt gleich mehrfach das Münchner Olympiastadion, bereits am ersten von drei Tagen (10.-12. September 2022) ausverkauft mit knapp 75.000 Zuschauer*innen.

Die Vorgruppen hat der Musiker und Produzent wie stets auf seinen Touren handverlesen: Die Sängerinnen Cat Burns (18 – 19 Uhr) und GRIFF (19-20 Uhr) sind beide Newcomerinnen Anfang 20, die der berühmte Musiker persönlich angesprochen habe, seine Tournee zu begleiten; das könne sie bis heute kaum glauben, kommentiert Zweitere ihren plötzlichen Erfolg gegenüber dem für sie so großen Publikum. Beide bieten einen zeitgemäßen Pop-Sound dar, bei dem keine Fragen offenbleiben, wieso der Star sie vor sich auf die große Bühne holt.

Pünktlich um 20:05 Uhr beginnt auf dem kreisrunden LED-Screen um die zentrale Hauptbühne, wo gerade der Umbau stattfindet, ein Countdown von 10 Minuten. Außen um die Bühne stehen an vier Säulen Instrumente und Musiker, räumlich klar getrennt von der Hauptbühne, die auf „00:00“ punktgenau zusammen mit Sheeran den ersten Song anspielen; im selben Moment fährt der Screen nach oben und schwebt fortan erneut einige Meter über der Bühne. Der sonstige Solokünstler ist auf seiner „Mathematics“-Tour erstmals auch als Bandleader tätig: Knapp ein Drittel der Songs begleitet eine Gruppe aus Schlagzeug, Bass, zwei E-Gitarren und einem Keyboarder/Pianisten. Bereits bei der zweiten Nummer geht es dabei erstaunlich rockig zu. Der Sänger hängt sich selbst eine E-Gitarre um (ansonsten ist er nur noch später für die Ballade „Thinking Out Loud“ mit einer solchen zu sehen) und die Band entwickelt eine erstaunliche Fülle, Dynamik und Härte, wie man sie kaum auf einem Pop-Konzert vermutet hätte.

Eine eigene Erwähnung ist Sheerans Setup in den Songs ohne Band wert: Insgesamt fünf Loop-Controler verteilen sich über die runde Bühne, deren äußerer Rand sich frei drehen lässt, mit deren Hilfe der Musiker wie schon seit seiner Anfangszeit Gitarrenstrumming, Single-Note-Lines, Bassspuren, Gitarren-Percussion und insbesondere mehrstimmige Gesangsarrangements live einspielt und nahtlos zu vollen Song-Gefügen zusammensetzt. So gut die Band aus erstklassigen Profimusikern den Weltstar auch begleiten mag, man merkt ihm an, dass im Loopen der Songs seine Stärke, seine ganze Erfahrung liegt. Mühelos kreiert er Song um Song und springt dabei leichtfüßig im Kreis, stets im unmittelbaren Kontakt zu seinem Publikum. Das Instrument seiner Wahl, die typische Akustikgitarre mit kleinem Concert-Korpus, stammt dabei nicht mehr aus der legendären Gitarrenschmiede von Martin Co., der der Musiker jahrelang treu war: In der Zwischenzeit hat Sheeran in Kooperation mit der britischen Firma Lowden seine eigene Gitarrenmarke geschaffen, die er nicht nur selbst nutzt, sondern auch unter seinem Namen auf dem internationalen Markt vertreibt.

Auch zum Tod der Queen äußert sich der Brite, auch wenn er dabei seine eigene Meinung zum Tod der Monarchin kaum durchscheinen lässt. Zum goldenen Thron-Jubiläum habe er als 11-Jähriger Eric Clapton im Fernsehen seinen Song „Layla“ performen hören und daraufhin den Eingangs-Riff als erstes Stück selbst auf der Gitarre gelernt. Kaum zu glauben: Nur 10 Jahre später spielte Sheeran selbst auf dem diamantenen Jubiläum der Queen, weitere 10 Jahre danach, im Februar 2022, auch auf dem Platin-Jubiläum der Herrscherin. Ohne sie, soviel steckt in seiner Aussage, hätte er als kleiner Junge nicht das Gitarrenspiel begonnen. Ob ihn ihr Tod nur wenige Tage vor dem Konzert allerdings berührt hat, lässt er nicht durchblicken; er hätte sich nur, wie so viele andere, auch gezwungen gesehen, sich in Form dieser kleinen Geschichte dazu zu äußern.

An sich liefert der Weltstar eine fulminante Show ab, die von einfühlsamer Ballade über mitreißende Beats bis hin zur lauten Rocknummer mit Pyro-Show (ja, Ed Sheeran hat echte Flammenwerfer um die Tour-Bühne platziert) alles zu bieten hat. Der besondere Charme des Abends entsteht jedoch erst durch die Fehler und Problemchen, denen sich der Musiker und sein Team konfrontiert sehen. So bindet er beispielsweise spontan für den Song „Afterglow“ seine Band ein, nachdem seine Gitarre ausfällt (sie ist im plötzlichen Regen nass geworden, worunter vermutlich die Elektronik gelitten hat); mit Gesten bindet er seinen Pianisten und seinen Bassisten ein, die gekonnt einsteigen, während der Sänger vom Geschehen nicht aus der Ruhe gebracht den Song bereits vocal weiterperformt hat. Zum Totalausfall kommt es jedoch erst pünktlich zur letzten Zugabe: Mitten in der mitreißenden Performance seiner Solokünstler-Hymne „You Need Me, Man, I Don’t Need You“ bleibt die ganze Bühne auf einen Schlag still – ein Strom- bzw. Tonausfall sucht den Loop-Künstler heim. Das Publikum feuert Sheeran und sein Team durchgehend an, bis man nach einigen angespannten Minuten das Problem gelöst hat. Voll neuer Motivation legt Sheeran einen feurigen Loop seinen nachfolgenden Sprachgesang-Passagen zugrunde, einen Loop, der rhythmisch leicht unsauber ist, aber das Publikum dennoch umso glücklicher in den Abend entlässt. Denn sie haben einen der wenigen unter den ganz Großen erleben dürfte, der noch alles für seine Musik und sein Publikum gibt.

Setlist: Tides / BLOW / I’m A Mess / Shivers / The A-Team / Castle On The Hill / 2step / Don’t – no diggity / Give Me Love / Visiting Hours / Medley (Own It/Peru/Beautiful Pepole/I Don’t Care) / Overpass Graffiti / Galway Girl / Thinking Out Loud / Love Yourself / Sing / Photograph /Perfect / Bloodstream /Afterglow Zugaben: Shape Of You / Bad Habits / You Need Me, I Don’t Need You

Bericht: Thomas Steinbrunner