Äußerst sehenswert! – „Die Geschichte von Goliat und David“ in den Kammerspielen (Kritik)

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Ayşe Güvendiren trifft mit ihrer Inszenierung Die Geschichte von Goliat und David an den Münchner Kammerspielen einen Nerv! Sie zeigt, wie dokumentarisches Theater politisch, kritisch, unterhaltsam, reflektiert und doch zu keinem Zeitpunkt belehrend funktionieren kann. Dabei setzt sie wenige ästhetische Mittel sehr gezielt ein. Die drei Schauspieler*innen sowie der Musiker arbeiten so dynamisch und zugleich vertraut zusammen, dass sich ein sehr harmonisches Gesamtwerk fügt. Es geht in der Inszenierung um einen politischen Konflikt anhand eines Einzelschicksals… Oder doch um ein Einzelschicksal, das die Komplexität und Widersprüchlichkeit politischer Konflikte versinnbildlicht? Geht es um David und Goliath oder um Halim Dener? Um die PKK gegen die Türkische Regierung? Um das SEK gegen die PKK?

© Kerstin Schomburg

Alles beginnt mit einer Geschichte so alt wie die Bibel, oder sogar noch älter: Die Geschichte von David gegen Goliath. Doch an diesem Abend wird die Geschichte aus einem anderen Blickwinkel erzählt. Bereits der Name des Stückes lässt kurz zögern. Goliath und David. Heißt es nicht eigentlich, David gegen Goliath?! Zunächst wird die alttestamentarische Geschichte des Jungen erzählt, aus dem einmal König David werden wird. Der Hirtenjunge mit der Steinschleuder gegen den übermächtig scheinenden Riesen. Wie sie zu Beginn des Stückes erzählt wird, so kennt der Zuschauer die Handlung bereits. So ist sie schlüssig. Wenngleich kleiner, schafft es David, dem Riesen mit seiner geschickt geführten Steinschleuder beizukommen. Doch ist das wirklich, wie alles abgelaufen ist ? Ein historisch so bedeutsames Ereignis und es gibt nur eine einzige Sichtweise? Hier kommt der Fall Halim Dener ins Spiel.

Wie so oft im zeitgenössischen Theater, werden auch in diesem Stück zwei Themen miteinander verbunden, um sie voneinander profitieren zu lassen. Güvendiren schafft es durch diese Symbiose nicht nur, einen biblischen Mythos aufzuarbeiten und ein dokumentarisches Stück über den rätselhaften Tod eines kurdischen Jungen zu kuratieren, sondern sie verbindet beide Themen zu etwas Größerem.

Die Ästhetik dieses Abends unterstützt die inhaltliche Auseinandersetzung dabei ausgezeichnet. Bühnenbild und Kostüm von Theresa Scheitzenhammer fügen sich zusammen zu einem gelungenen Abend. Sie lassen Spielraum für Interpretation und sind doch nicht so abstrakt, dass man darin keine Symbolik erkennen könnte. Scheitzenhammer kleidet alle vier Darsteller*innen in übergroße Anzüge aus schillernd grünem Stoff. Erinnern Sie nicht etwas an die grünen Polizeiuniformen, wie sie noch in den Neunzigern in Deutschland getragen wurden? Zu der Zeit, in der Halim Dener durch eine Polizeikugel starb. Das Bühnenbild besteht aus einem minimalistischen Podest und einer achteckigen Kabine, die ebenso ein Zeitungskiosk wie eine Polizeizelle sein könnte. Sie steht auf einer kleinen Drehplatte, an der sich die Darstellerinnen im Verlaufe des Abends abmühen. Als ob sie die verschiedenen Betrachtungen vor sich her drücken und ziehen oder als ob sie sich mit der Debatte im Kreis drehen? Als ob die Mühlen der Justiz langsam mahlen? Als sich die grell beleutete Kabine dreht, erinnert die auch an ein Kinderkarussell, auf das man aufspringen und von dem man zurücktreten kann. Aufspringen auf die Debatte, aufspringen auf einen politischen Trend, mitlaufen bei einer pro kurdischen Kundgebung, die eigentlich ein Trauermarsch sein sollte für einen verstorbenen Jungen? Ein Zitat bleibt im Gedächtnis: Jene, die sich noch nie um diese Probleme gekümmert haben, sind die, die die Wahl haben, ob sie sich damit befassen oder nicht, weil sie das Privileg haben, nicht betroffen zu sein. Schließlich sind sie von dem Problem nicht selbst betroffen. Dieser Satz gibt dem unbeteiligten Münchner Zuschauer zu denken, stellt ihn aber nicht an den Pranger als Unwissenden, der keiner marginalisierten Gruppe angehört.

© Kerstin Schomburg

Die drei Schauspieler*innen transportieren die Handlung ohne eine klare Rollenzuordnung sondern sie stellen viel mehr die verschiedenen Perspektiven dar, die es zu beachten gibt. Mikaîl Ezîz Hey, erzeugt durch seine Musik die passende Stimmung, die durch den Abend leitet. Mal aufregend, mal lustig, mal bedrückend, unterstreicht sein Instrument, was sich für den Zuschauer auf der Tonspur und auf der Bühne abspielt.

Wie man ein schwieriges und politisch brisantes Thema unterhaltsam und reflektiert darstellen kann, ohne jemanden zu langweilen oder zu kränken. Das beweist Güvendiren mit dieser Produktion! Politisches Theater muss nicht bedrückend oder langatmig sein! Theater, das unterhält, ist nicht nur das weiße Rössl am Gärtnerplatztheater. Vollkommen zurecht wird diese Inszenierung gefördert durch die Körber Stiftung!

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