Hommage an die „Lebensfreude“ der Todgeweihten – „Alles klappt“ im Marstall (Kritik)

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Immer wieder rezensiert ein Treuhandverwalter: „Alles klappt!“ Doch so optimistisch wird es bei dieser Uraufführung nicht.

„Alles klappt“ ist eines der wohl spannendsten Projekte, welches im Rahmen der Münchener Biennale 2018 für zeitgenössisches Musiktheater uraufgeführt wird. Trotz des zuversichtlichen Titels handelt es sich um ein sehr rohes Stück. Ein riesiger Erd- und Aschehaufen bedeckt den Boden des Marstalls in München. Der Zuschauer erkennt: Heute werden Dinge aus- und vergraben.

© Smailovic

Der tschechische Komponist und Musikalische Leiter Ondřej Adámek spielt selbst mit. Er inszeniert sich, in einem Wachhäuschen sitzend, auf die Bühne und singt sogar. Darunter pflegt eine Gruppe von Archivaren, in schlichten Einteilern bekleidet, im synchronen Rhythmus und sorgfältig penibel eine Sammlung. Die Archivare übernehmen, bewerten, erschließen und sichern Schriftgut. Dabei erfahren sie allesamt eine authentische Entfremdung.

Das Musiktheater „Alles klappt“ basiert auf Archivmaterial des jüdischen Museums in Prag. Briefe, Postkarten und ein von Ondřej Adámeks Großvater mitgestalteter Treuhandkatalog werden als jüdisches Erbe im Marstall des Residenztheaters dem Münchener Publikum aufgezeigt. Therese Wincent und Kathrin Zukowski sind singende Sopran-Archivarinnen. Den einzigen Tenor besetzt Steve Zheng. Dominic Kraemer und Tobias Müller-Kopp geben den Bariton.

© Smailovic

Der Zuschauer sieht auf der Bühne Totenbeschwörungen. Eine qualmende Kiste offenbart Geheimnisse. Gegenstände, die berührt werden, erzählen auf einmal Geschichten. Die Archivare fassen die einzelnen Gegenstände an und begeben sich in die jeweilige Geschichte der ehemaligen Besitzer hinein. Allesamt haben sich die Akteure den Erinnerungen des Magazins ausgeliefert. Mit dem Aufsetzen einer alten Brille wird die Sopransängerin Landy Adriamboavonjy zur einstmaligen Trägerin. Die Gegenstände ergreifen Besitz über die Leiber der Archivare.

© Smailovic

Sie beginnen mit fremden Stimme zu erzählen: „Liebste Kinder. Sind gut angekommen. Schlafen gut. Warm. Seid unbesorgt! Konzerte und anderes. Laufend Pakete auf Zulassungsmarken. Kochgelegenheiten. Seid gesund! Ständig denke ich an Euch.“
Fälschliche Hoffnung, trügerische Sicherheit. Um die Liebsten nicht mit der Wahrheit zu erschüttern. Es sind Geschichten der Trauer, der Ungewissheit, des Mutes und natürlich Geschichten der Flucht und Verfolgung.

Die Regiesseurin Katharina Schmitt, die auch das Libretto schrieb, lässt den Treuhandverwalter und das Überwachungshäuschen über die Szenerie des Bühnenbildes herrschen. Aber auch Geräusche spielen eine zentrale Rolle: Es werden Dinge ein- und wieder ausgepackt, man hört Folie reißen. Dieses Geräusch ist Teil der Komposition. Ausgepackt wird ein kleines, hübsches Akkordeon, eingepackt in einem Koffer. Sehr interessant und musik-dramaturgisch eine lobenswerte Glanzleistung.

Kritik: Carolina Felberbaum
Besuchte Vorstellung: 9. Juni 2018