Tout est calme – Yann Tiersen in der Philharmonie (Kritik)

Verpresst in bajuwarische Trachtwursthäute pilgern die Volksscharen aufs Oktoberfest, doch jene, welchen die leisen Töne mehr am Herzen liegen, leiten ihre Schritte gen Gasteig: Denn heute, Samstag, den 21. September 2019 gastiert in den Philharmonie: Yann Tiersen. Der Mann, den zu loben man sich wohl Zeit seines Lebens mit den Worten anschicken wird, er sei viel mehr als nur der Komponist des Soundtracks zu „Die fabelhafte Welt der Amelie“.

Wie viel mehr, das wird er an diesem Abend eindrucksvoll unter Beweis stellen, in 120 meditativen Minuten, die – zugegeben – den weichen Sitzen der Philharmonie manchmal mehr Wachhheit abverlangen als naturgemäß in ihnen liegt.

Noch ehe Tiersen das Set allein am Klavier eröffnet gibt es auf der Bühne mannigfaltigste Instrumentarien zu bestaunen: Neben den unvermeidlichen Flügel und Akkordeon harren da verschiedene Synthesizer, Klavichord, Geige, Gongs, und gut Oldfield‘sche Tubular Bells ihrer Benutzer.

© Christopher Fernandez

Zunächst ist da nur Tiersen allein, unauffällig über den Tasten gekrümmt. Egal an welchem Instrument: Seinem Spiel eignet etwas Tastendes, Verspieltes, als gebe er nicht Stücke wieder, die zum Teil schon seit langem sein Repertoire bevölkern, sondern spüre abwesend einer vagen Idee hinterher, die irgendwo im Grenzland zwischen Ton und Stille, zwischen Musik und Meeresrauschen angesiedelt ist. In puncto Meeresrauschen muss Tiersen nicht nur auf den steten Applaus aus dem Zuschauerraum der wohl gefüllten Philharmonie zurückgreifen, der manchmal sogar unpassend wirkt: Tiersen ist kein Musiker, der eine abgeschlossene Komposition an die nächste reiht. Vielmehr (traum-)wandelt der Franzose von Fragment zu Fragment, von Soundlandschaft zu Soundlandschaft, lässt sich treiben wie Blatt durch ein bretonisches Küstendorf. Mit echten Naturgeräuschen untermalt wird die erste Hälfte des Konzerts durch „Alex, the Tape Machine“. Er habe ‚Alex‘ in einer Bar kennengelernt, völlig ausgebrannt von der schrecklichen Musik, die er im Dienste eines Radiosenders habe spielen müssen, erklärt Tiersen, ohne eine Miene zu verziehen. Nun rehabilitiere sich das Tonbandgerät mit leisen Field Recordings. Viel mehr Worte richtet der enigmatische Künstler nicht an sein Publikum, wirklich ist das Tonbandgerät ‚Alex‘ der einzige ‚Musiker‘, der in der Bühnenmitte und im Rampenlicht steht. Während sich die Spulen gemächlich drehen, agieren Tiersen und seine sich gelegentlich einstellenden drei Mitmusiker im Halbschatten.

Das Konzert ist grob in zwei Hälften gegliedert. Im ersten, längeren Teil präsentiert Tiersen aktuelle Kompositionen, die weit mehr als sein früherer Output als atmosphärische, vielschichtige Klangkollagen angelegt sind, was beim wirklich wunderbaren, angenehm normal-lauten Sound, der hier realisiert worden ist, ein wahrer Genuss ist und zum Augenschließen einlädt. Im zweiten Teil gibt es dann vermehrt Stücke aus Tiersens Backkatalog, unter anderem den „Walz of the Monsters“ und „Comptine d’un autre été: L’Après-midi“, sowie das Geigenbogen zersetzende „7 PM“.

Als sich Tiersen und seine Mann-/Frauschaft um 23 Uhr nach erfolgter Zugabe verabschieden, wirken die stehenden Ovationen trotz der überaus schönen Stunden, die man mit Tiersen und seiner Musik verbringen durfte, leicht deplatziert – nicht, weil die Musiker sie nicht verdient hätten: Doch weder die Musik noch ihre Erzeuger haben sich präsentiert, sich ausgestellt. Trotz der dämmrigen, unpersönlichen Darbietung entstand hier der Eindruck, Musik von ihrer Innenseite her zu erleben, einen Hauch dessen, was so oft nur exoterischer Hokuspokus ist, erhaschen zu können.

Kritik: Tobias Jehle