„Wir werden alle verrückt geboren, einige bleiben es“ – „Warten auf Godot“ im Volkstheater (Kritik)

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Den Titel der neuen Inszenierung des Münchner Volkstheater haben viele Menschen in ihrer Schullaufbahn oder im alltäglichen Informationsstrom bestimmt schon einmal gehört. Der Kabarettist Marc-Uwe Kling behandelt das Stück sogar in seinen populären Känguru-Chroniken und sorgt damit für weiteres Interesse. „Warten auf Godot“ ist das bekannteste Werk des Literaturnobelpreisträgers Samuel Beckett und weltweit auch nach dem Tod des Autor 1989 ein Erfolg. Die Produktion von Nicolas Charaux, die am 4. April 2019 Premiere feierte, ist vielleicht nur eine von Vielen, aber sie ist beeindruckend in ihrer Verständlichkeit und definitiv sehenswert für ihre humorvolle Absurdität.

© Gabriela Neeb

Estragon und Wladimir, oder Gogo und Wladi, wie sie sich selbst nennen, warten auf Godot. So weit, so gut. Das Problem ist nur, dass sie weder wissen, wann dieser Herr Godot auftauchen wird, noch wer er ist, geschweige denn, wie er aussieht. Also warten sie und versuchen sich die Zeit zu vertreiben, indem sie etwas essen und ihre Umgebung erkunden. Ein kahler Baum ist dabei ihr einziger Fund und sie bemerken nur traurig, dass der einzige Ast wohl nicht stark genug ist, um sich daran aufzuhängen. Gogo will daraufhin gehen – Wladi hält ihn ab – sie warten auf Godot. Ihre Langeweile wird unterbrochen durch die Ankunft von Pozzo und Lucky. Der erste extrovertiert und in Plauderlaune, der letztere verängstigt und die Befehle seines Meisters zitternd erwartend. Gogo und Wladi sind fasziniert und begeistert, als Pozzo seinen Bediensteten anweist, unterhaltsam zu tanzen und dann auch noch zu denken. Luckys philosophisches Denken ist dann jedoch zu viel für die beiden und sie bringen ihn gewaltsam zum Schweigen, bis Pozzo und Lucky sich verabschieden. Aber sie sind nicht allzu lange alleine, denn ein Junge kommt mit der Botschaft, dass Godot nicht kommt, zumindest heute nicht, aber ganz sicher morgen. Wladi und Gogo gehen. Sie treffen sich an der gleichen Stelle, am gleichen Baum wieder, nur dass der Baum nun Blätter trägt und sich keiner der beiden sicher ist, ob sie gestern schon auf Godot gewartet haben oder noch nie? Erneut bekommen sie Besuch von Pozzo und Lucky, nur ist Pozzo inzwischen blind und Lucky stumm geworden. Anstatt die beiden unterhaltsam abzulenken, beschimpft Pozzo sie nur für ihre begrenzte Auffassung von Zeit und ihr Unverständnis und verlässt sie bald wieder mit Lucky im Schlepptau. Gogo will daraufhin gehen – Wladi hält ihn ab – sie warten auf Godot. Aber es kommt wieder nur der junge Bote mit der gleichen ernüchternden Nachricht. Wladi und Gogo gehen.

© Gabriela Neeb

So absurd die Handlung scheinen mag, das behandelte Thema ist klar zu erkennen: Warten auf Godot heißt Warten auf ein besseres Leben. Die Hoffnung aus ihrer schlechten Lebenslage durch den wundersamen Herrn Godot gerettet zu werden, ist Urhoffnung des Menschen. Ob Godot nun Gott oder einen reichen Gönner, einen neuen Job oder einen Neuanfang in einer anderen Stadt darstellt, ist dabei unwichtig. Es geht um die Hoffnung und darum nicht aufzugeben, auch wenn die Welt um einen herum zu zerbrechen scheint.

Die Absurdität verpasst diesem Stück Aktualität wie kein Bühnenbild oder Kostüm es je könnte, weshalb beides auch in dieser Inszenierung recht minimalistisch ausfällt. Dafür bereichern zahlreiche bisher ungehörte menschliche Laute sowie gekonnte Körperkomik der Darsteller das Stück und begeistern jeden Skeptiker. Jonathan Müller (Estragon) und Silas Breidig (Wladimir) sind mit ihrer ernsthaften Menschlichkeit und den idiotischen Kopfbedeckungen hervorragende Spielpartner und etablieren schnell das zwar hohe, aber nicht abgehobene Niveau der Produktion mit ihrem grenzenlosem Optimismus und tiefgründigem Unverständnis. Jakob Geßner (Pozzo) und Jonathan Hutter (Lucky) sind hingegen humoristisches Gold. Beiden gelingt es fabelhaft, ihre Art von Hoffnung auszudrücken, selbst wenn diese schon lange nicht mehr anwesend ist. Die Abhängigkeit ihrer beiden Figuren von einander wird durch die einzigartige Chemie der beiden Schauspieler mehr als hervorragend dargestellt.

Definitiv eine nicht nur amüsante, sondern auch interessante Produktion, die viel Anerkennung und Aufmerksamkeit verdient hat. Für alle ohne Beckett-Erfahrung ein guter Einstieg in die Werke des Autors – auch ansonsten eine absolute Freude für alle Zuschauer.

Kritik: Anna Matthiesen