Was „Titanic – The Musical“ nicht ist:– Ein Remake des Films– Ein Versuch der zeitgenössischen Entertainment-Industrie, mit bekannten Stoffen Zuschauer zu locken– Ein reißerischer Spaß– Eine Aneinanderreihung von Céline Dion-Songs. gemischt mit dem Soundtrack des Films.Das zu Anfang, um keine falschen Erwartungen zu befüttern.
Das Musical, das auf seiner Tour gerade im Deutschen Theater Halt macht, erzählt die allseits bekannte Geschichte des damals größten und luxuriösesten Schiffes der Welt detailliert und lässt viel Raum für die Charaktere. Obwohl die Handlung wirklich viele Figuren etabliert, bleibt für jede Person genug Raum. Seit dem 16. Juli bis zum 21. Juli 2019 ist es in München zu sehen.
Besonders gelungen wird herausgearbeitet, dass es sich an Bord um einen Querschnitt der Gesellschaft und ihrer Mechanismen auf kleinstem Raum handelte.
Für manche Passagiere wie Lady Caroline (Emma Harrold) ist dies so nicht die erste Überfahrt von Europa in die Staaten, alle Passagiere der dritten Klasse verbinden damit jedoch die große Chance des Neuanfangs in der neuen Welt. Für die Heizer im Maschinenraum wie Barrett (Niall Sheehy) ist es hingegen lediglich ein Job, den ganzen Tag die Kessel mit Kohle zu füttern. Bemerkenswert ist, dass alle Figuren auf historische Personen zurückzuführen sind. Diese werden zu Beginn, als jede Klasse das Schiff nacheinander betritt, detailliert vorgestellt. Jede Figur mit den ganz individuellen Gründen, diese Reise anzutreten. Dabei fallen zwei Frauen besonders auf: Alice Bean (Wendy Ferguson) als extrovertierte Lebefrau, die zwar nur zweite Klasse gebucht hat, aber es kaum erwarten kann, den feinen Herrschaften der Hautevolee so nahe wie möglich zu kommen, und Kate McGowand (Lucy-Mae Sumner), die als selbstbewusste Irin in Amerika trotz Schwangerschaft den Neuanfang wagen will und sich – selbst ist die Frau – an Bord einen Gefährten für dieses Unterfangen sucht ,dem kurzerhand der Heiratsantrag gemacht.
Ein wichtiger Fokus wird mit den Songs „In Every Age“, „How Did They Buit Titanic“ und „Ship Of Dreams“ auch auf die technische und gesellschaftliche Errungenschaft gelegt, die das Schiff gewesen sein muss. Die ersten Tage der Reise (aka der erste Akt) werden genutzt, um dem Zuschauer die Figuren näher zu bringen. Das gelingt nicht ganz, was dem Libretto von Peter Stone und nicht der Inszenierung von Thom Southerland geschuldet ist. Für ein Stück, das nur gute zwei Stunden dauert und auch noch das gesamte Ausmaß der historischen Katastrophe verarbeiten muss, sind es einfach zu viele Figuren, die zu Beginn zu detailliert dargestellt werden. Die Kritik ist hier nicht, mit weniger Figuren zu arbeiten. Das macht der 1997er-Film ja schon, bei dem sich der Zuschauer hinterher eigentlich nur an das Liebespaar erinnert. Für die Individualität der Charaktere hätte es schlichtweg mehr Text und mehr Momente gebraucht, aber wie gesagt, einfach Text dazu erfinden ist für die zeitgenössische Produktion eben schwierig. Die Figuren für die Zeit, die da ist, gewinnt man jedenfalls lieb. So zu Beispiel das Millionärs-Ehepaar Strauss (Dudley Rogers und Judith Street), das sich entscheidet, gemeinsam an Bord zu bleiben, als klar wird, dass nur Frauen in die Rettungsboote dürfen.
Das Libretto ist trotz dieser kleinen Mankos gut geeignet, um einen runden Musicalabend daraus zu machen. Da die Inszenierung tourt, hält sie sich mit dem Bühnenbild von David Woodhead zurück, all das muss schließlich von Stadt zu Stadt transportiert werden. Die Ausstattung besteht also aus Geländern, einer Art Reling, einer Treppe, die verschiedentlich über die Bühne bewegt werden kann, und einigen dicken Tauen. Dennoch werden mit einigen Requisiten, den zu Zeit und Klasse passenden Kostümen und dem Licht von Howard Hudson Stimmungen erzeugt, die den Zuschauer glaubhaft vom Maschinenraum über den Speisesaal der ersten Klasse bis in die Funkkammer mitreißen. Auch der Untergang wird nicht reenacted, sondern vorsichtig und daher umso treffender dargestellt. Als die Überlebenden erzählen, wird klar, dass es sich bei den Sätzen um Originalzitate handelt. So gehen Aussagen wie ‚Die Schreie in der Dunkelheit hörten sich an wie ein ganzes Football-Stadion‘ durch Mark und Bein. Hinter den Darstellern wird in dem Moment eine riesige Gedenktafel mit den Namen aller Überlebenden herunter gelassen. So die Ausmaße dieses Unglückes verdeutlicht zu bekommen, funktioniert viel besser, als wenn irgendwer versucht hätte, einen im kalten Wasser erfrierenden Menschen zu spielen – zum Glück ist das nicht passiert. Die Inszenierung geht sehr angemessen mit dem schweren Thema um und öffnet so praktisch einen dokumentarischen Aspekt der Geschichte, der dem Betrachter ein neues Verständnis ermöglicht.
Dennoch ist es ein Musical, das von der Musik lebt. Die Kompositionen von Maury Yeston passen den ganzen Abend hindurch zur Stimmung, jede Situation wird entsprechend musikalisch untermalt, so ist der ‚Tanztee‘ beschwingt und der Heiratsantrag romantisch, das Publikum hat trotz der wohlbekannten, nahenden Katastrophe im ersten Teil wirklich Spaß. Ein großes Kompliment ist Regisseur Southerland für die Anordnung der Darsteller in Massenszenen zu machen, denn davon gibt es im Stück viele und in den meisten Inszenierungen stehen die Leute dann zusammengescheucht auf der Spielfläche. Dem war hier nicht so, liebevoll und klug konzipiert hatte jede Figur ihren Platz und ihre Berechtigung.
Aber wie geht der Abend nun aus? Mit Titanic nahm es schließlich kein gutes Ende. Keine Sorge – der Zuschauer wird nicht beklemmt und schluchzend zurückgelassen. Der Erinnerungstafel folgt eine letzte Ode an die Hoffnungen, die mit dem Schiff der Träume verbunden waren.
Kritik: Jana Taendler