Als Ende August die neu beschlossene Infektionsschutzverordnung in Bayern verkündet wurde, war eine Meldung darin, auf die alle Kulturinstitutionen und Veranstalter gewartet haben: eine abstandsfreie Konzertdurchführung ist wieder möglich. Was die Theater zwar flott umsetzen können, stellt sich im freien Tournee-Betrieb äußerst schwierig heraus – in Europa herrschen überall andere Regeln, selbst zwischen den Bundesländern gibt es keine Einigkeit. Roland Kaiser wagt es dennoch und spielt seine bereits verschobene „Alles oder Dich“-Tour seit Mitte September – und dann gleich eine Arena-Tour in den größten Hallen Deutschlands mit vielen tausend Besuchern jeden Abend. Am 25. September 2021 in der Olympiahalle München findet ein Abend statt, den man so nicht mehr kennt.
Eine Ahnung überkommt einem, wenn man mit der Menschenmenge von der U-Bahn zur Olympiahalle tingelt – viel zu lange ist das nicht mehr geschehen, um es gewöhnlich zu finden. 8.000 Personen dürfen an diesem Abend maximal rein, minimal weniger sind da. Die Anzahl an Plätzen, die wohl aufgrund von Protest der Auflagen leer geblieben sind, dürften nicht einmal dreistellig sein – viele Pöbler sind also auch im Internet letztendlich lauter als im realen Leben. Die Voraussetzung des Besuchs: ein 3G-Nachweis und eine Maske, die auch am Sitzplatz getragen werden muss. Getränke und Essen gibt es, aber nur an den sehr zahlreichen Sitzgelegenheiten um die Stände herum. Am Platz selbst gilt Contenance: keine Getränke, dafür auch kein Abstand. Nach und nach füllen sich die Stuhlreihen, der Altersschnitt dürfte beim halben Jahrhundert liegen, womöglich etwas darunter. Es überrascht, dass nicht Hallen mittlerer Größe die zaghafte Konzertannäherung geben – nein, direkt die Olympiahalle wird vollgemacht. Mittendrin statt nur dabei, oder wie der Interpret des Abends singt: Extreme!
So arg extrem ist es dann aber nach einer Eingewöhnungsphase auch nicht mehr, eher reichlich emotional, als Roland Kaiser um 20 Uhr die Bühne mit „Alles oder Dich“ betritt und die Fans in einen Jubelsturm versetzt, der seinesgleichen sucht – knapp zwei Minuten gibt es überglückliche Standing Ovations. Da steht er, ein waschechter Sänger mit waschechter Band, das Publikum abstandsfrei waschecht dabei. Kaiser bekräftigt, wie sehr er sich über die Begrüßung freut. Dass die Tour, zudem in der Größenordnung, stattfindet, gleicht derzeit noch einem Wunder, aber immerhin auf der Bühne merkt man dem organisatorischen und logistischen Riesenaufwand wenig an: die Technik läuft, die Licht- und Bildshow überzeugt und untermalt passend und die Musiker*innen liefern eine astreine Performance. Selbst wenn Musik und Frontmann der Hauptgrund für den Kartenkauf sein mögen, besonders das rund 13-köpfige Ensemble von Streicher- zu Tasten- bis Saiten-Spieler*innen überrascht mit tollen Soli, cleveren Einfällen und dem Maximum, was eben an den doch eher billig komponierten Songs rauszuholen ist.
Kaiser selbst, ganz der Entertainer, erzählt gelegentlich Geschichten aus seinem Leben, konzentriert sich aber vorranging aufs Singen von rund 30 Stücken. Und das macht er überraschend gut! Während mancher Kollege sicher bereits im Alter von knapp 70 Jahren zu schwächeln anfangen dürfte, glänzt er stimmlich astrein und liefert rund 2,5h Konzert. Zwar erlaubt sich der Grandseigneur des Schlagers eine Pause, bei der man nun nicht genau weiß, ob es sich lohnt, an die frische Luft zu eilen, aber selbst nach dem einstündigen ersten Block legt Kaiser noch einmal etwa 85 Minuten hinterher. Gegen Ende wird die Hit-Dichte immer höher und man stellt überrascht fest, wie viele Playlist-Dauerbrenner er doch über die Jahrzehnte geschaffen hat – vor allem „Joana“ und „Ich glaub, es geht schon wieder los“ laden noch einmal zum eskalativen Masken-Tanz ein, der fleißig genutzt wird. So bleibt ein tolles Konzert, dass allein aufgrund des Zeitpunkts historischen Wert hat und hoffentlich den Grundstein für einen regen Konzertbetrieb ab spätestens kommendem Jahr garantiert. Entscheidend dürften wohl die Entscheidungen nach der Bundestagswahl (zu der der doch sehr politische Sänger leider nichts gesagt hat) sein, wie es mit der Kultur weitergeht. Vielleicht bleibt es das einzige Arena-Konzert 2021, aber vor allem ist es eines: kein Experiment, keine Studie, sondern ein waschechter Hoffnungsschimmer. Danke!
Bericht: Ludwig Stadler