The Sound of Muzak – Porcupine Tree auf dem Tollwood (Bericht)

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Die Hitze brütet über dem Olympiapark am Abend des 22. Juni 2023, die überdimensionale Dusch-Installation am Park-Eingang des Tollwood-Festivals wird fleißig benutzt. Trotz der Hitze und optisch leicht quer zu den normalen Festivalbesuchern liegend tummeln sich zwischen den Buden viele Herren und Damen in schwarzen bedruckten T-Shirts, vergnügen und verpflegen sich, ehe sie sich durch die Schleuse der Musik-Arena schieben und sich unter dem schwarzen Zeltdach versammeln, wo die Hitze noch ein bisschen drückender ist als draußen. Sie nehmen das auf sich. Denn für heute hat sich eine der bedeutendsten modernen Progressive Rock-Bands angekündigt: Porcupine Tree.

Die britische Gruppe um Musik-Guru Steven Wilson war vor 14 Jahren zuletzt in München zu hören, damals um ihr bis voriges Jahr letztes Album „The Incident“ vorzustellen, das letzte, ehe sich die Bandmitglieder, Wilson voran, auf Solo- und andere Projekte konzentrierten. Unerwartet erschien dann 2022 das passend betitelte „Closure / Continuation“, mit dem Porcupine Tree den Faden da wieder aufnahmen, wo sie ihn einst liegen gelassen hatten. Doch fast möchte es scheinen, als seien viele Fans der Band über die lange Zeit der Funkstille vom Glauben abgefallen: Der Zuschauerbereich ist auch kurz vor Beginn noch eher locker gefüllt, der hintere Teil der Zelthalle ist abgehängt. Doch der Jubel, der aufbrandet, als der scheinbar alterslose Wilson mit seinen Mannen die Bühne betritt, demonstriert: Wer hier ist, ist es mit ganzem Herzen. Und hier zu sein, lohnt sich: Es werde ein sehr langes Set werden, kündigt Wilson an: Zu würdigen gebe es nicht nur das neue Album („Wir sind keine von den Bands, die dann nur einen Song vom neuen Album spielt. Wir spielen alle!“), sondern auch die Neuveröffentlichung von „Deadwing“ (2005) („You know, the usual stuff: remastered, some demos, some life stuff, completely overpriced…“). Wilson weiter: „It’s bloody hot in here!“ – Im Hitze-Notfall werde Wasser von der Bühne gereicht. Doch schon nach „Harridan“ vom neuen Album, das sich an „Blackest Eyes“, welches heute Abend einen ebenso großartigen Opener abgibt, wie auf Porcupine Trees Klassiker-Album „In Absentia“, lässt sich nach dem Verklingen der Musik lautes Rauschen vernehmen: Mit Wucht prasselt der lang aufgestaute Regen auf das Zelt nieder; kühle Windböen fegen herein.

© Joe del Tufo

Die erste Konzerthälfte ist hauptsächlich dem neuen Album gewidmet; die Songs, die sich auf Platte vielleicht mancher/m nicht genug von den vergangenen Großtaten, insbesondere der frühen 2000er Jahre abheben konnten, funktionieren ausnahmslos gut. Der Sound ist wie zu erwarten ausnehmend klar, Wilson in stimmlich stark. Einziger Wermutstropfen: Bassist Nate Navarro musste die Tour aufgrund eines familiären Notfalls unterbrechen und nach Hause fliegen. Zwar werden seine Parts (teilweise?) vom Band eingespielt, dennoch fehlt es in Richtung der tiefen Frequenzen mitunter hörbar an lebendiger Präsenz. Kurz vor der Pause, die glücklicherweise von einer vorübergehenden Regenpause begleitet wird, gibt es mit „The Sound of Muzak“ noch einen Fan-Favourite, dessen Refrain unaufgefordert vielstimmig mitgesungen wird. Er habe, so Wilson augenzwinkernd, schon vor rund 20 Jahren visionär festgestellt, die Musikwelt sei „basically fucked“. Mit dem düster getönten, seine proggigen Konturen aus einem eindringlichen leicht maritim/nautisch angehauchten Gesangs- und Klangteppich herausschälenden „Chimera’s Wreck“ beschließen Porcupine Tree die erste Hälfte ihres Sets.

In der zweiten Hälfte des Abends wandert der Fokus eher auf die älteren Werke der Gruppe, angeführt von „Fear of a Blank Planet“ vom gleichnamigen Album und „Buying New Soul“, der als Bonustrack auf dem Album „Lightbulb Sun“ zu finden war. Es bleibt der einzige „fast“ Track des Albums an diesem Abend. „Walk the Plank“ könnte vom Titel nicht passender gewählt sein, denn langsam kommt Wasser von unten durch die Bodenplatten der Musikarea, immerhin ist das Publikum von oben trocken geblieben. Mit dem darauffolgenden „Herd Culling“ ist dann das Kapitel des neuen Albums für den heutigen Abend geschlossen, es folgen „Anesthetize“, „I Drive the Hearse“ und „Sleep Together“, bevor es in die Zugabe geht. Der Regen hat mittlerweile zwischenzeitlich nachgelassen, dafür ist das Gewitter lauter geworden. Manchmal kann man nicht unterscheiden, ob das melancholische Regenprasseln und das Donnern in der Ferne zur Show gehören, oder von draußen kommen. Zu „Collapse the Light Into Earth“ passt es jedenfalls hervorragend und zum deutlich verzerrteren Hauptriff von ihrem Evergreen „Halo“ geht die Wetterkulisse unter, es ist ein Highlight des Abends. Wie sollte es anders sein: „Trains“ bildet das Grande Finale des Abends, stimmlich begleitet vom immer noch sichtlich motivierten Publikum.

Ein einzigartiges Konzert geht zu Ende, das sich etwas wie eine Fortsetzung zum Konzert von Steven Wilson auf dem Tollwood vor ein paar Jahren anfühlt. Immerhin hat das Tollwood gelernt und diesmal auf eine Vollbestuhlung verzichtet, auch wenn es sich um progressive Musik handelt. In der Setlist wurde bewusst von Hits wie „Lazarus“ oder „Arriving Somewhere But Not Here“ abgesehen und, wie im Progressive Rock üblich, eher zu einem Deepcut der Diskografie und dem neuen Album tendiert. Schade, aber so hat man wenigstens mehr Ansporn, sich Porcupine Tree auf ihrer nächsten Tour wieder anzuschauen.

Setlist: Blackest Eyes / Harridan / Off The New Day / Rats Return / Mellotron Scratch / Open Car / Dignity / The Sound Of Muzak / Chimera’s Wreck / Fear Of A Blank Planet / Buying New Soul / Walk The Plank / Herd Calling / Anesthetize / I Drive The Hearse / Sleep TogetherZugaben: Collapse The Light Into Earth / Halo / Trains

Bericht: Tobias Jehle & Luka Schwarzlose

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