Auf dem Weg zur TonHalle München denkt man weniger an erheiternd-sommerliche Melodien als eher an längst hinter sich gelassene Weihnachtsgassenhauer wie „Winter Wonderland“ und „Let It Snow“: München erstrahlt in Weiß an diesem Samstag, 2. April 2022, alles ist voller Schnee und die Temperaturen sind auch wieder nach unten gewandert. Typisches Aprilwetter, so scheint es, und dennoch für rund 2.000 Zielstrebige vollkommen egal, denn sie sind heute beim restlos ausverkauften Konzert von Nothing But Thieves. Der Auftritt der Briten musste bereits einmal verschoben werden, dementsprechend rappelvoll ist die Location. Es ist der vorerst letzte Tag mit Maßnahmen wie 2G-Regel und Maskenpflicht, ab dem darauffolgenden Tag fallen diese bis auf Weiteres weg. So ist der heutige Besuch, sei es auch noch so eng und voll, mit einem deutlich größerem Sicherheitsgefühl verbunden als wie in den kommenden Veranstaltungen – es bleibt spannend.
Der Einlass verzögert sich fast schon selbstredend wegen der intensiven Kontrollen, Kid Kapichi legen als erste Band dennoch pünktlich um 19:45 Uhr los. Zu dem Zeitpunkt ist die TonHalle aber bereits sehr ordentlich gefüllt und erwartungsvoll dem musikalischen Band-Triple entgegenblickend. Die britische Rockband setzt auf Gitarrenwucht und harte Drum-Beats, weniger auf große Melodien. Das ist ein spannender Ansatz und macht auch Spaß anzuhören, ist nach den 30 Minuten Spielzeit aber auch völlig ausreichend. Fraglos ein guter Einstieg.
Um 20:30 Uhr folgen Black Honey und bringen musikalisch eigenwilligen Female-Fronted Alternative Rock mit. Zwar muss man sich erst an die Stimme von Frontsängerin Izzy Baxter gewöhnen, kann dann aber recht flott in die Musik eintauchen. Dabei strotzen die Musiker*innen aus Brighton nicht mit größtmöglicher Vielfältigkeit, aber einem Haufen Geschwindigkeitswechsel, innerhalb und zwischen den Liedern. Das hält den acht Titel umfassenden Auftritt interessant und vor allem im Vergleich mit dem deutlich ruppigeren Sound von Kid Kapichi im Abend abwechslungsreich. Dennoch ist mit „Run For Covers“ der Abschluss zur richtigen Zeit – ein gesamtes Konzert in dem künstlerischen Rock-Stil könnte eigenwillig werden.
Der Grund für die zum Bersten gefüllte TonHalle ist aber natürlich ein anderer: Nothing But Thieves. Diese betreten nach etwas Umbauzeit um 21:35 Uhr endlich die Bretter der Bühne, um ohne Umschweife direkt mit der starken Nummer „Futureproof“ einzusteigen. Gleich zu Beginn überwältigt der Sound: satte Gitarre, deutliche Drums, kräftiger Gesang und endlich mal präzise gemischter Bass, der sich grandios in den Gesamtkontext einfügt. Selten gelingt auf den ersten Ton eine so einwandfreie Soundkulisse, die über das ganze Konzert zurecht nicht geändert werden muss – im Gegenteil, sie erweist sich in den verschiedenen Härte- und Geschwindigkeitsgraden der Lieder immer als genau richtig. Völlig frei, ob das wuchtige „If I Were You“ oder eine Stripped-Down-Version von „Particles“ – es gelingt immer genau der Sound, der dem jeweiligen Song äußerst würdig ist. Das heizt dem Publikum deutlich ein, die sich von der Band definitiv mitreißen lassen.
Ganz so einfach bleibt das nicht, denn mit steigernder Interaktion und Eskalation steigt auch ungemein die Hitze und explizit die Hitze unter der Maske. Doch selbst im inneren Stehbereich der Halle hält sich der Großteil der Besucher*innen bemerkenswert an die streckenweise herausfordernde Maskenpflicht – bei Bewegung, Enge und viel Getanze kommt man so leicht mal ins Schnaufen. Die Seiten der TonHalle, zumeist etwas gemiedene Orte in der Location, sind dieses Mal ebenso deutlich voller – wohl auch mit der Fraktion, die mehr in Richtung Vorsicht unterwegs ist, dennoch nicht aufs Konzert verzichten möchte. Eine weise Entscheidung, denn innerhalb von rund 85 Minuten gelingt Nothing But Thieves auf dermaßen eindrucksvolle Weise, Erst- und Mehrfachbesucher abzuholen und mit einem pausenlosen und rastlosen Stehkonzert-Ereignis zu versorgen, dass es erschreckend lange nicht mehr in München gab.
Vom Indie-Image und doch noch oft verspielt-zurückhaltenden Sound der Studio-Aufnahmen bleibt im Live-Konzert wenig – hier stehen die Zeichen deutlich auf Rock, sodass Lieder wie „Excuse Me“, „I Was Just A Kid“ und der Hit „Amsterdam“ nur so aus den Boxen knallen. Da ist es zwar traurig, wenn sich die Briten nach „Impossible“ um 23:00 Uhr schon verabschieden, aber bei so einer energiegeladenen und mitreißenden Show braucht es kein Endlos-Konzert, um die Münchner*innen glücklich und beseelt nach Hause zu schicken. Selbst Skeptiker dürften nach diesem Gastspiel definitiv überzeugt sein. Nicht nur kurz, sondern Forever – And Ever More.
Setlist: Futureproof / Real Love Song / I Was Just A Kid / Trip Switch / If I Get High / If I Were You / Sorry / Forever And Ever More / Excuse Me / Free If We Want It / Unperson / Wake Up Call / Particles / Your Blood / Is Everybody Going Crazy? / Amsterdam – Zugaben: I’m Not Made By Design / Impossible
Bericht: Ludwig Stadler