Es ist ein Zustand, nach dem sich wohl mancher Kirchenverantwortliche bisweilen verzweifelt sehnt: „Ausverkauft“ prangt an der Tür der St. Matthäus-Kirche. Grund dafür ist keine Massenbekehrung zum Protestantismus, sondern die Tatsache, dass heute, am 18. Dezember 2018, Nils Landgren im Gotteshaus am Sendlinger Tor eines seiner beliebten Weihnachtskonzerte unter dem Titel „Christmas with my Friends“ zelebriert. „Es ist nicht selbstverständlich, dass halb München zusammenkommt, um einem Haufen Schweden zuzuhören“, bedankt sich Landgren für das volle Haus – doch schließlich handelt es sich hier nicht um irgendwelche Schweden, sondern um ein hoch profiliertes, um das Münchner Label ACT kreisendes Kollektiv von Jazz-, Soul-, Weltmusikern, neben Posaunenstar (und Sänger) Landgren himself bestehend aus Ida Sand (Piano, Gesang), alias „die schwärzeste Stimme Skandinaviens“, Johan Norberg an der Gitarre, Jonas Knutson am Saxophon, Eva Kruse am Kontrabass, sowie Jeanette Köhn, Jessica Pilnäs und Sharon Dyall als gesanglichem Schlussstein des Ensembles.
Es sei dies das letzte Konzert von insgesamt 22, tags zuvor habe man ein privates Konzert im bundespräsidentlichen Hause Steinmeier gegeben, lässt Landgren wissen. „Die haben gut gesungen!“, fügt er hinzu, um das Publikum zur Partizipation am Pflichtstück „Stille Nacht“ zu motivieren, mit durchschlagendem Erfolg, versteht sich. Im Allgemeinen orientiert sich das Programm jedoch stärker an amerikanischem, denn an deutschem Weihnachtsliedgut, was sowohl für Klassiker wie „Santa Claus Is Coming to Town“ (von Langren und Eva Kruse in ein rasantes Instrumentalduett verwandelt) oder „Merry Christmas Baby“ (selbstredend und überragend vorgetragen von Ida Sand) als auch für von Landgren and Friends selbst komponierte Stücke wie das augenzwinkernde „Oh No, It‘s Christmas Again“ gilt – das die Konzertprogramme begleitende Album liegt inzwischen in sechster Ausgabe vor.
Doch keineswegs verschließen sich die Musiker ihrem „nordischen Fatum“, dem Hang zur Melancholie, zum Schönschwermütigen, zum der Festlichkeit in dunkler Zeit angemessenen Erhabenen: Diese Seite des Konzerts reicht von einer einfühlsamen Interpretation von „Little Drummer Boy“ über „Dagen är komen“ (dt.: „Adeste Fideles“), dessen Hochgestimmtheit Landgren und Jonas Knutson mit einem blendenden Wettlauf zwischen Posaune und Saxophon aufbrechen, hin zur berührenden Psalmvertonung „Den Signade Dag“, die Jeanette Köhn, nur vom Saxophon begleitet, glockenrein und im sakral-räumlichen Kontext wirkmächtig aufgelöst zum Besten gibt.
Davon, in Trübsal abzugleiten, ist „Christmas with my Friends – live at St. Matthäus“ jedoch zu jeder Zeit weit entfernt. Daran schuld ist zum einen die von Routine und Professionalität in offenbar nicht im Geringsten ausgewaschene Freude der Musiker an ihrem Tun – „Christmas is like no other holiday, let‘s celebrate tonight“, singen sie programmatisch in „Christmas Is“. Zum anderen verhütet das internationale Umfeld, sowohl der Musiker als auch der Songs, dass das Konzert zwischen den beiden großen, hell erleuchteten Tannen einer lokalkolorierten, moralbäuchigen, Nostalgie-umsäumten Besinnlichkeitsorgie ähnlich wird; das „Fest der Feste“ scheint eher als global anschlussfähiger Anlass und Leitfaden zu einem Konzert genommen zu werden, das das Weihnachtsfest und die Musik, die es umgibt, als privates und gesellschaftliches Ereignis der Verständigung, der Liebe, des Friedens unverbindlich zu feiern zum Ziel hat.
Love and Peace, in der Tat. Passend dazu verabschieden sich die Musiker nicht mit einem Weihnachtslied, sondern mit „Imagine“ von John Lennon – und ernten gestandene und verdiente Ovationen.
Bericht: Tobias Jehle