Varieté-Theater oder anti-feministischer Sado-Maso-Taumel? – „Limbo Unhinged“ auf dem Tollwood-Winterfestival (Kritik)

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Peitschenhiebe, Strapse, Lack, Leder und Metallketten – wo sind wir denn hier gelandet? Eine Frage, die sich bei der diesjährigen Varieté-Show im Spiegelzelt nicht ohne Grund dauerhaft stellt. Da fallen jegliche Hüllen, werden Grenzen überschritten und stereotype Geschlechter- und Rollenbilder, die wir so mühsam versuchen, zu überwinden, schamlos auf der Bühne inszeniert. Limbo Unhinged feierte am 23. November 2023 Premiere auf dem Tollwood-Winterfestival.

Dabei fängt der Abend durchaus vielversprechend an. Der Veranstaltungsort der diesjährigen Varieté-Show, das sogenannte Spiegelzelt, erstrahlt in neuem Glanz und das 4-Gänge-Menü in Bio-Qualität von MAHAVI-Catering ist von außerordentlicher kulinarischer Qualität. Der Regisseur Scott Maidment führt uns in die bevorstehende Veranstaltung ein und stellt dabei besonders die Live-Musik in den Vordergrund. Er beschreibt außerdem, dass Limbo Unhinged uns in eine Illusion entführt und die bisherige Welt aus den Angeln hebt.

© Strut & Fred

Und das schafft das Programm des Abends in der Tat. Und zwar hebt es eine Welt aus den Angeln, in der Frauen nicht nur als Sexobjekte und Projektionsflächen männlicher Fantasien gesehen werden. Dabei spricht mit Sicherheit nichts dagegen, eine gewisse Art Femme Fatale auf der Bühne zu inszenieren, welche ein feministisches Selbstbewusstsein schafft und weibliche Sexualität in der Öffentlichkeit etabliert. Aber die zwei Artistinnen Maria Moncheva und Clara Fable, die sich bis auf Strings und Nippelkleber ausziehen müssen und dabei noch ein Schild mit der Aufschrift „24 hours open“ (24 Stunden geöffnet) am Rücken kleben haben, sind weder sexy noch in irgendeiner Art und Weise tragbar. Die Männer hingegen, fast durchgehend in langen Jeanshosen bekleidet, schlüpfen für eine Szene in knappe Speedo-Höschen und High-Heels – ein verzweifelter Versuch für Gleichberechtigung und Queerness-Gedanken, der leider unnötig und fadenscheinig daherkommt. Denn mit queeren Respektvorstellungen und dem damit verbundenen Auflösen von Geschlechterstereotypen hat diese Show überhaupt nichts zu tun.

Doch bei all den anti-emanzipatorischen Unternehmungen dürfen wir natürlich die Artistik nicht ganz aus den Augen verlieren. Die internationalen Künstler*innen der Truppe Strut & Fret liefern spannende artistische Nummern in schwindelerregenden Höhen. David Marco Pintado geht über den Köpfen des Publikums auf einer Slackline spazieren und Mikael Bres überwindet die Schwerkraft bei seiner Nummer an der Vertikalstange. Luftakrobat Agustin Rodriguez Beltran hängt zwischendurch nur noch mit einem Fuß in den Strapaten und lässt uns alle beeindruckt den Atem anhalten. Das alles wäre jedoch wahrlich eindrucksvoller, wenn die artistischen Einlagen von dramaturgisch sinnvollen Zwischenauftritten begleitet würden – was leider nicht der Fall ist. Stattdessen rahmt die Veranstaltung ein äußerst merkwürdiges sadomasochistisches Gesamtkonzept, welches sich die angesprochene anti-feministische Devise zum Kern macht. Moncheva tritt in ihren lackenen Overknee-Stiefeln mit Peitschen auf, Fable steigt Zigarette-rauchend sinnbildlich ins Rotlicht-Milieu herab – einer Öffnung im Bühnensteg aus dem grellrotes Licht herausstrahlt. Was uns diese kurzen Zwischenszenen sagen sollen, bleibt fragwürdig. Sie sorgen in jedem Fall dafür, dass einem der Mund offen stehen bleibt – ob vor Staunen oder Entsetzen sei dahingestellt.

© Daniel James Grant

Aber zurück zur Live-Musik, die vom Regisseur ja besonders hervorgehoben wurde. Diese schafft es tatsächlich ein paar positive Momente an diesem Abend zu erwirken, indem fünf versierte Musiker*innen unter der Leitung von Sxip Shirey mit diversen elektronischen Instrumenten performen, Spaß dabei haben und gute Laune verbreiten. Alle Lieder wurden eigens für Limbo Unhinged komponiert und zusammengestellt, was den Abend in ein durchgehend-musikalisches Gewand hüllt und die fehlende dramaturgische Verbindung der einzelnen Auftritte teilweise kompensiert.

Was bleibt also übrig von so einem Abend? Am dringendsten die Frage danach, ob so eine Show im Jahre 2023 noch funktionieren kann und sollte. Natürlich darf Artistik mit einer gewissen Freizügigkeit und sexuellen Offenheit einhergehen, solange dabei auch geschlechterspezifische Thematiken sowie kritische Diskurse um Stereotypen und Rollenbilder miteinbezogen werden und die Show im Vorhinein dahingehend überprüft wird. All das ist bei Limbo Unhinged leider nicht passiert und so blicken wir auf talentierte Künstler*innen, die durch ein Programm in ein fragwürdiges Licht gerückt werden, welches ihr Können zur Nebensache macht.

  1. Walter Lux

    Hallo,
    war ja zu erwarten, dass im Ultra puritanischen Bayern/Deutschland, eine Show, die nicht bis ins Kleinste dem derzeitigen Pseudo feministischem und gleichzeitig männerverachtendem Gusto folgt, negativ kritisiert wird. Sehr verehrter Kritiker, wenn Sie gewisse Aspekte einer Show nicht verstehen, und deren Spiel mit der Sexualität nur mit verkrampfter Prüderie betrachten. Hat das nichts mit einer irgend gearteten modernen Denkweise und Einstellung zu tun.es fühlt sich eher wie 50er Jahre Gehabe an. Alles außer Missionarsstellung ist schmutzig oder seltsam. Gleichzeitig tun Sie aber so, als ob jeder Schwule, Lesbe oder Transsexuelle ein seltenes Wesen sei, dass beschützt werden muss. Eine Show dieser Klasse mit sozialkritischen Moralforderungen zu überfrachten ist nicht nur dumm, sondern einfach nur naive und heuchlerische political correctness.

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