Gute Laune, ungerecht verteilt – das neue Album von Kettcar (Kritik)

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Als 2017 das Album „Ich vs. Wir“ von Kettcar erschien, war das Interesse groß: Wie wird sich die Hamburger Band schlagen nach so vielen Jahren Auszeit? Fantastisch war das Ergebnis, denn nicht nur ist das Album, der Zeit geschuldet, deutlich politisch ausgefallen, zudem hat sich dieses Werk als Grund für etliche erfolgreiche Tourneen herausgestellt. Nach einer kleinen Zugaben-EP dann aber die Aussage: ein neues Album ist nicht in Sicht, nur, wenn es etwas zu sagen gäbe. Das gibt es nach den letzten Jahren allerdings deutlich genug, und so ist es passiert: ein neues Kettcar-Album! „Gute Laune, ungerecht verteilt“ erscheint am 5. April 2024 und ist ein Zeitgeist-Manifest aus Punk, Rock und teilweise sogar Hip-Hop.

„Auch für mich 6. Stunde“ eröffnet das zwölf Titel umfassende Werk und feuert sogleich einen Text von Marcus Wiebusch heraus, der vor zitierwürdigen Zeilen nur so strotzt, musikalisch zudem in bester, aber auch erwartbarer Kettcar-Manier, nur auch hier fällt gleich auf: Wut, Ärger, sogar ein bisschen Verdruss und Aussichtslosigkeit. Musikalisch blickt genau das schon bei der ersten Single-Veröffentlichung durch: „München“. Der schrabbelige Punk überrascht, der Text über Alltagsrassismus macht betroffen, aber zugleich als Vorgeschmack umso neugieriger auf das Album. Ganz so wild bleibt es dann nicht, aber gerade die Rock-Gitarren kommen immer wieder deutlicher als noch beim Vorgänger hervor, wie bei „Rügen“ oder „Bringt mich zu eurem Anführer“. Die Gruppe um Wiebusch und Reimer Bustorff ist auch über zwei Jahrzehnte nach Gründung noch in jedem Song in der Lage, Melodien zu komponieren, die fesseln und zwischen Hamburger Schule und The National immer den richtigen Nerv treffen – ob das sanfte „Zurück“ oder das fast schon poppig-ohrwurmlastige „Was wir sehen wollten“.

© Andreas Hornoff

Gerade in diesem Song fesselt das Storytelling extrem, die Hoffnung auf das blühende Leben hinter dem Fenster und die Tristesse dagegen in der Realität. Allgemein ist das Album weniger monothematisch-politisch als der Vorgänger, es wird eine größere Vielfalt an gesellschaftlichen Thematik aufgemacht – einschließlich einiges an Selbstreflektion und -kritik, wie im abschließenden „Ein Brief meines 20jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter)“. Doch auch die verschiedenen Geschichten, die in den Liedern immer wieder erzählt werden, haben eine Intensität und Bändigung, wie sie kaum eine Band im deutschsprachigen Raum hinbekommt. „Einkaufen in Zeiten des Krieges“ behandelt die Einzelschicksale und Sichtweisen der inflationären und krisenbelasteten Auswirkungen, „Doug & Florence“ die immergleiche Problematik der Ausbeutung systemrelevanter Berufe ohne Besserungsperspektive. Besonders eindringlich ist „Kanye in Bayreuth“, ein sensibler Text über die Cancel Culture von Musiker*innen und die genauere Betrachtung der scheinbar kontroverslosen Musik. Rap und Hip-Hop-Momente sind in Wiebuschs Solo-Album „Konfetti“ bereits ein Stilmittel gewesen, doch bei Kettcar sind diese Aspekte noch neu: „Gegen Wagner ist jedes Arschloch ein Pausenclown“.

Am Ende bleibt ein überraschend abwechslungsreiches Album, das textlich und musikalisch nicht im Geringsten dem starken Vorgänger, geschweige denn den erfolgreichen ersten Alben, nachsteht, sondern auch im Jahr 2024 so viele neue, frische Aspekte mitbringt, dass sie den Status als eine der besten und wichtigsten Bands in Deutschland fraglos behalten. Die nahende Tour dürfte mit dieser Platte einen absoluten Pflichtbesuch darstellen. Und in all diesem Verdruss, dieser Wut, dieser Perspektivlosigkeit kommt eines in diesem Album deutlicher hervor als in all den Vorgängern: Hoffnung und ein kleines bisschen Glück.

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