Er ist einfach unkaputtbar: Herbert Grönemeyer. Eigentlich wollte er bereits vergangenes Jahr aus Sommer-Open-Air-Tour zum Jubiläum seines Erfolgsalbums „Mensch“ gehen, leider hat ihm eine Corona-Erkrankung kurz vor Tourstart da einen bis heute äußerst bedauerlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch die Liedermacher-Legende lässt sich nicht aufhalten, setzt eine ausgedehnte Arena-Tour für das kommende Frühjahr an und veröffentlicht in der Zwischenzeit das neueste Album „Das ist los“. Dieses Frühjahr ist nun unlängst ins Land gezogen und so pilgern die Massen am 25. Mai 2023 in die ausverkaufte Olympiahalle, wohlwissend, dass sie ein langer und mitreißender Konzertabend erwartet.
Die Wahl der Vorbands ist allerdings immer etwas heikel bei Grönemeyer. Während BRKN 2019 zwar musikalisch zu glänzen wusste, das Publikum aber wenig Interesse hervorlocken konnte, wäre die 2022-Vorband Sportfreunde Stiller wahrscheinlich zielgruppengerechter gewesen, dafür musikalisch drastisch wertloser. Dieses Mal ist es Schmyt geworden, das Solo-Projekte des ehemaligen Rakede-Sängers, welches vor über einem Jahr plötzlich in der eingeschworenen Indie-Bubble durch die Decke ging und die Konzerte mit mehreren tausend Zuschauern in Windeseile ausverkaufen lässt. In der Olympiahalle fühlt sich sein 30-minütiges Set aber an wie ein Fremdkörper – die autotune-lastigen Gesangsspuren sind unangenehm, das elektronische Band-Gesamtbild zwar durch die grandiosen Live-Drums vollmundig, aber zu eintönig. Natürlich wummert alles, wenn bei Liedern wie „Taximann“ die Beats in die Vollen gehen, aber der Großteil der Menge bleibt recht verdutzt zurück. Schmyt glänzt zudem auch nicht gerade mit einem nennenswert sympathischen Auftreten, und so fragt man sich, als er um 20 Uhr die Bühne verlässt, wofür er eigentlich Jazz und Pop studiert hat.
Setlist: Niemand / Universum regelt / Medusa / Poseidon / Taximann / Liebe verloren / Keiner von den Quarterbacks / Gift / Ich wünschte, du wärst verloren
Als Herbert Grönemeyer um 20:20 Uhr auf die Bühne schreitet, schwingt sich die Stimmung sofort massiv nach oben. Setzt er mit „Tau“ noch ruhig und entspannt an, pendelt sich der Abend schnell mit „Das ist los“ und „Bist du da“ auf rockigere Pfade ein. Die Bühnenpräsenz und -Energie des Ruhrpottlers ist schwer zu beschreiben und erklären, wenn man es noch nie gesehen hat – pure Begeisterungsstürme löst er so aus, wenn er über die Bühne fetzt, umhertanzt und unermüdlich Vollgas gibt. Freilich steht das im Kontrast zu Grönemeyers Auftreten in Fernsehshow o.ä., aber genau das macht es auch aus: die unbändige Energie herauslassen, selbstironisch in den Ansagen glänzen und immer wieder Stellung beziehen. Kaum ein großer deutscher Musiker ist so deutlich politisch und dabei immer mit dem Blick in die Zukunft. „Oh Oh Oh“ ist sein Plädoyer, beim Klima-Aktivismus der jungen Generation einzusteigen und zu mitmachen, denn sie sorgen dafür, dass die deutsche Demokratie erhalten bleibt und der Politik weiter auf die Finger geschaut wird, so in seiner Ansage davor. Viel Jubel und Zustimmung – aber gut, ein auf Klimakleber und Greta pöbelnder SUV-Fahrer würde wohl auch kaum auf ein Grönemeyer-Konzert gehen.
Insgesamt steht der Abend stark im Fokus des neuen Albums, ganze elf Lieder stehen davon auf der Liste. Davon funktionieren manche live besser, manche schlechter – denn auch wenn es textlich und musikalische astreine Arbeit ist, streift Grönemeyer unlängst weit von den arenatauglichen Hits ab. Livetauglich ist noch die eine oder andere Nummer des Vorgängers „Tumult“, die sich auch in der Setlist hält, so richtig nachhaltig bleiben aber dann doch die älteren Werke, die auf die gesamte Band zugeschnitten sind und bei denen reichlich mitgemacht werden kann. Nach rund 100 Minuten verabschieden sich die Musiker das erste Mal von der Bühne – aber natürlich nicht final, bevor ein dreiteiliger Zugabenblock mit rund 60 Minuten noch zum Besten gegeben wird. Auch in Sachen Spiellänge macht Herbert Grönemeyer so schnell niemand was nach, und mit Blick auf das Portfolio, egal ob altes oder neues Liedgut, hat er nicht nur abermals seinen berechtigten Status als grandioser Live-Künstler untermauert, sondern zählt auch weiterhin zu den besten, wenn nicht sogar zu DEM besten deutschen Liedermacher. Chapeau, Herbert!
Setlist: Tau / Das ist los / Bist du da / Sekundenglück / Kopf hoch, tanzen / Steigerlied / Bochum / Männer / Was soll das / Vollmond / Eine Tonne Blei / Der Schlüssel / Doppelherz/Iki Gönlüm / Musik nur, wenn sie laut ist / Oh Oh Oh / Herzhaft / Der Weg / Behutsam / Deine Hand / Mensch / Alkohol / Angstfrei / Bleibt alles anders – Zugaben 1: Turmhoch / Flugzeuge im Bauch / Zeit, dass sich was dreht – Zugaben 2: Urverlust / Halt mich / Demo (Letzter Tag) – Zugaben 3: Meine Lebensstrahlen / Land unter / Mambo / Immerfort
Bericht: Ludwig Stadler
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