Ein wenig verwunderlich ist es schon, wenn man sich die Autoren der Stücke ansieht, die für die Premieren der aktuellen Spielzeit im Residenztheater verantwortlich sind: Shakespeare, Maxim Gorki,… – und eben Daniel Kehlmann. Der wahrscheinlich bedeutendste, deutschsprachige Autor der Gegenwart hat mit „Heilig Abend“ sein drittes Theaterstück geschrieben, welches am 26. Januar 2018 im großen Saal des Resi Premiere feierte. Und da Kehlmann, derzeit Professor an einer Universität in New York, gerade auf Lesereise in Deutschland und sowieso ausnahmsweise ein noch lebender Dramaturg ist, befindet er sich höchstpersönlich im Publikum unter den Gästen, um sich Thomas Birkmeirs Inszenierung anzusehen. Aber nicht nur Kehlmann, auch wir sind vor Ort gewesen und haben uns das Werk angesehen.
Wer großes Performance-Theater in einer aufregenden Inszenierung mit andauernd wechselnden Bühnenbildern erwartet, wird wohl nicht glücklich werden. „Heilig Abend“ ist konzipiert für zwei Schauspieler – und eine Uhr. Diese Uhr ist in digitaler Form über der Bühne aufgehängt und die anfängliche Befürchtung, man würde viel zu oft darauf sehen und sich dann selbst darüber ärgern, anstatt der Bühne lieber der Uhr beim Ziffernwechsel zuzusehen, soll sich glücklicherweise als absolut unbestätigt herausstellen – die Dialoge sind so messerscharf, das Gespräch so fesselnd, dass man seine Ohren und auch seinen Blick gar nicht von den beiden Darstellern abwenden mag.
Dabei passiert, wie schon angedeutet, grob genommen auf der Bühne fast nichts. Außer die Darsteller. Und Sophie von Kessel als intellektuelle Philosophie-Professorin Judith und Michele Cuciuffo als Polizist Thomas in einer Spezialeinrichtung spielen locker mal manch Ensemble anderer Theater-Produktionen problemlos an die Wand. Man möchte keinen von beiden hervorheben, da die Leistung so authentisch und empathisch ist, dass Cuciuffo im Eifer des Gesichts auch mal die herausgerissene Telefonanlage ins Publikum wirft – und sich beim Schlussapplaus dafür entschuldigt.
Das fantastische Textbuch lässt den beiden aber auch jeden Raum zur Entfaltung, den sie in vollem Maße nutzen. Selten hat ein Duo auf der Bühne besser harmoniert, ohne dass es die Figuren in irgendeiner absehbaren Weise tun. Denn das Verhör, bei dem inhaltlich möglichst wenig zu wissen den interessantesten Theaterbesuch ergeben dürfte, läuft vollkommen aus dem Ruder, sodass es schlussendlich nicht mehr um den Sachbestand an sich geht, sondern viel mehr die menschliche Belastbarkeit. Die beiden Protagonisten könnten dabei unterschiedlicher nicht sein: Während Thomas anfangs maßlos überlegen und im Recht erscheint, wendet sich gegen Ende konstant im Wechseltakt das Blatt. Dabei werden die beiden aber auf überhaupt keinen Nenner kommen können, denn Judith verweigert sich in ihrer Arroganz der (scheinbar) intellektuellen Überlegenheit vollkommen, ihr Gegenüber zu verstehen. „Sie können mich nicht foltern. Ich habe einen Lehrstuhl“.
Kehlmanns Beitrag zur Dauerbewachung in Echtzeit wurde von Regisseur Thomas Birkmeir in einen schlichten Büroraum transportiert. Wie eine halbe Baustelle wirkt das alles, die Fassade bröckelt und auch sonst findet man wenig Nennenswertes. Ehrlich gesagt erfüllt die Bühne nur Mittel zum Zweck und macht daher das einzige richtige: sich massiv zurücknehmen. Den Darstellern freie Fahrt lassen. Das wird mit großem Applaus belohnt. Und Kehlmann selbst, wenn er denn schon einmal da ist, wird spontan aus dem Publikum auf die Bühne geholt und bekommt den wohl lautesten Applaus des Abends – vollkommen zurecht, ist doch das dialoglastige Werk letztendlich der wichtigste Grund, sich dieses Glanzstück an Theater nicht entgehen zu lassen.
Bericht: Ludwig Stadler
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