Für die einen sind sie eine unvergleichliche, nur in Superlativen fassbare einmalige Erscheinung in der Musiklandschaft, für andere „nur“ eine einflussreiche Post Rock-Band. Godspeed You! Black Emperor. Eine solche Mischung aus Verehrung und Gesehen-haben-müssen sorgt für gut besuchte Konzerte: Das Technikum ist ausverkauft, an diesem 24. November 2019, da sich die vielköpfige kanadische Band in München einstellt – was nicht inflationär oft der Fall ist.
Begleitet werden GY!BE von der norwegischen Saxophonistin Mette Rasmussen. Ganz allein tritt sie vor die wartende Menge – und spielt nicht etwa sanften Jazz zum Runterkommen. Es ist nur zu ahnen, welche Gewalt die Musikerin hinter ihr Instrument bringt, es hat den Anschein, nicht, als ob sie musizierte, sondern, als versuchte sie zu schreien, durch das Saxophon hindurch (und manchmal schreit sie auch wirklich). Das hat ein seltsames Gepräge von Hilflosigkeit; eine stimmlose Triade, eine Ansprache durch Kiemen. Wie sie so starren Blicks vor der roten Leinwand steht und ihrem Instrument diese steilen, atonalen Töne entlockt, könnte sie eine Erscheinung aus einem David Lynch-Film sein. Für ihre letzte Nummer erhält sie schließlich Unterstützung von GY!BEs Timothy Herzog und Thierry Amar an Schlagzeug und Bass: ein etwas zugänglicherer Abschluss, der genau darauf hoffen lässt, was sich später ereignen wird, nämlich, dass Rasmussen ihrerseits die Band begleiten wird.
Nach mäßiger Umbauzeit setzt alsbald das Hope Drone ein, das Aufwärmstück der Band, zu dem die Musiker nach und nach auf die Bühne kommen, um die erste Soundmauer des Abends zu errichten – und was für ein Sound! Voll, präzise, ausgewogen, die ganze Lautsprecher-Werbepalette. Hinter den drei Gitarristen (Efrim Menuck, Mike Moya, David Bryant), zwei Drummern (Aidan Girt, Timothy Herzog), zwei (Kontra-) Bassisten (Mauro Pezzente, Thierry Amar) und Geigerin Sophie Trudeau erwacht auch die bühnenbreite Leinwand zum Leben, elementarer Bestandteil eines jeden Godspeed-Sets. Aus versprengten Strichen bildet sich das Wort „Hope“, Schlüsselwort im stillen Narrativ der Band, das sich über Tape-Loops, Albencover und Videoclips entwickelt.
Aber gerade darin, dass es Narrative überwindet, liegt die unerwartete Macht dieses Konzerts, und liegt wohl auch die Einzigartigkeit des Live-Erlebens dieser Band, die sich auch auf Vinyl nicht reproduzieren lässt. Das ist die Engführung von kreiselnden Kampfjets und wogendem Schilf im Abendlicht, von Alles wissen und trotzdem leben – der Hammer der Hoffnung.
Jeder Post Rock-Interessent weiß, wie zäh 20-minütige Build-ups manchmal sein können, wenn das Bier alle ist und der Rücken schmerzt. Doch dieses Konzert vergeht wie im Fluge: Zugegeben, überlang spielen GY!BE nicht, doch gute anderthalb Stunden immerhin (das ein- und ausleitende Dröhnen nicht mitgerechnet); unversehens setzt schon die unverkennbare Melodie von „The Sad Mafioso“ ein, die bis dahin schwarz-weißen Animationen gehen in drastischen Aufnahmen von brennenden Gebäuden auf, während die Band sich zu ungeahnter Intensität und Aggressivität hinaufschraubt. Schließlich gehen die Lichter wieder an, zum Gänsehaut-erregenden „Where are you going…“-Loop, der das Debütalbum „F#A# ∞“ als Endlosrille beschließt: Dazu einschlafen und – „we woke up one morning and fell a little further down – for sure it’s the valley of death – I open up my wallet“ … und steuere den Merchstand an.
Setlist: Hope Drone / Glacier / Anthem for No State / Fam/Famine / Undoing a Luciferian Towers / Cliff / The Sad Mafioso
Bericht: Tobias Jehle