Es war ein turbulentes Jahr für Gracie Abrams. Im Juni veröffentlicht sie ihr erstes Album „Good Riddance“, das sie nicht nur eine große Tournee in den USA spielen, sondern auch ihre EU-Tour in deutlich größeren Hallen als 2022 rasend schnell ausverkaufen lässt. Zusätzlich ist sie auf unzähligen Daten der Eras-Tour von Taylor Swift Support und bekommt die Möglichkeit, vor einer riesigen Masse an Menschen ihre Lieder zu präsentieren. All das führt natürlich dazu, dass die Sängerin unlängst im Olymp der neuen Welle des US-Pop angelangt ist. Würde sie jetzt eine Tour ankündigen, wären das wohl beachtlich große Hallen – nun kommt sie aber in die schon Anfang des Jahres schnell ausverkaufte Muffathalle am 15. Oktober 2023.
Wenig verwunderlich hat sich an diesem Sonntag schon eine lange Schlange vor der Halle gebildet. Das Publikum ist im Großteil weiblich und jung, viele haben eine Schleife im Haar, nicht wenige sprechen überhaupt kein Deutsch. Gracie Abrams ist ein internationales Phänomen, so beweist es auch die ausverkaufte EU-Tour, die in Berlin sogar in die 3.000 Personen fassende Columbiahalle führt. In München dürfen nur etwas mehr als ein Drittel davon rein, die positionieren sich aber direkt zum Einlass nah an der Bühne. Das freut auch Support Searows, der um Punkt 20 Uhr beginnt. Begleitet von einer Dame, die gelegentlich auf einem Soundboard ein paar basslastige Töne erzeugt, spielt sich Alec, wie der junge Singer/Songwriter heißt, durch fünf außergewöhnlich lange Lieder und bringt die Muffathalle in anmutig-schweigende Stimmung. Ganz so leicht fällt das Zuhören aber nicht. Einerseits ist der Sound übertrieben basslastig (und da trägt das zusätzliche Soundboard wahrlich nicht zur Besserung bei), andererseits haben die Lieder absolut keine Spannungskurve und dümpeln minutenlang ohne ersichtlichen Höhepunkt vor sich hin. Zäh.
Wie man ähnlich atmosphärische Musik live auch umsetzen kann, beweist Gracie Abrams direkt bei ihrem Opener „Where Do We Go Now?“, den sie mit ihrer dreiköpfigen Begleitband organisch und fesselnd steigern lässt. Ziemlich schnell zeigt sich, wie ungemein eingespielt die Gruppe ist, wie ausgewogen der Sound in die Muffathalle strömt und wie gut Abrams selbst aufgelegt ist, denn sie singt sich stimmstark und zielsicher durch alle Lieder des rund 90-minütigen Sets. Unterstützung bekommt sie dabei vom fleißig mitsingenden, beizeiten auch mitkreischenden Publikum. Egal, ob es der Künstlerin zuwinkt, euphorisch „I love you“ zuschreit oder beim Song „Best“ eine kleine Zettel-Aktion („Youre [sic!] the best to us“) startet – es ist eine dankbare und überglückliche Ansammlung an Menschen, die die Musik sichtlich spürt.
Schwer ist es auch nicht, diesen Abend zu spüren, den sowohl die atmosphärische Musik als auch deren Umsetzung packen einfach sofort. Die etwas älteren (soweit man bei dieser noch recht kurzen Diskografie von „alt“ reden kann) Songs wie „Feels Like“, „Friend“, „21“ und auch der Hit „I Miss You, I’m Sorry“ entwickeln sogar eine richtige Energie, die nicht nur das Publikum zum Tänzeln nutzt, sondern vor allem Abrams selbst, die über die Bühne fegt und ihre zuvor eher zurückhaltende Attitüde wohl etwas abgelegt hat für diese Tour. Wie wunderbar diese Reise und wie dankbar im Allgemeinen sie doch sei, erzählt sie in eine der wenigen Ansagen. Nur drei Auftritte sind noch ausstehend, umso mehr wolle man jeden Augenblick genießen. Das gelingt ihr sichtlich, dem Publikum sowieso und selbst die astrein spielende Band ringt sich gelegentlich ein Lächeln ab. „Right Now“ schließt den Abend dann mit einer letzten, Gänsehaut-erzeugenden Steigerung. „I feel like myself right now“ – und wir fühlen es mit ihr.
Setlist: Where Do We Go Now? / This Is What The Drugs Are For / 21 / Block Me Out / I Should Hate You / Friend / I Know It Won’t Work / Full Machine / Amelie / Rockland / Will You Cry? / Difficult / Camden / Fault Line / Best / Feels Like / Mess It Up / Older / Minor / I Miss You, I’m Sorry / Right Now
Bericht: Ludwig Stadler
Schreibe einen Kommentar