Kampf der Nasen – „Die Nase“ in der Staatsoper (Kritik)

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Nach dem äußerst gelungenen Einstand von Intendant Serge Dorny darf er nun auch die erste Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper unter seiner Fittiche Premiere feiern lassen. Die Wahl überrascht genauso wie sie etwas zu erwarten war – „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch, eine Erstaufführung im Nationaltheater mit reichlich politischer Historie. Die musikalische Leitung übernimmt Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski, die Regie führt Kirill Serebrennikov, der in den vergangenen Jahren nicht zuletzt wegen den Anklagen seitens der russischen Regierung von sich sprechen gemacht hat. Vor Ort kann er nicht sein, die Einreise wurde verweigert. Reichlich Stoff für die Premiere am 24. Oktober 2021, die auch dementsprechend genutzt wird.

© WILFRIED HÖSL

Schostakowitsch Erstling und die damit verbundene Inszenierung ist hier wohl aus zwei Perspektiven zu betrachten: einerseits der des Kenners dieser Hintergründe, der musikalischen Umsetzung, der Novelle von Nikolai Gogol und dem dahingehend begeistert Zusehenden über die inszenatorischen Einfälle hinweg – andererseits der des routinierten Operngängers in München, der vor allem ein großes Orchester, große Stimmen und eine große Bühne hören und sehen mag. Letzterer dürfte sowohl von der Musik als auch Inszenierung abgeschreckt sein, denn beide gehen in die Tiefe, beide sind keine leicht verdauliche Kost, beiden machen reichlich wenig Sinn, wenn man sie nicht davor schon bestenfalls studiert hat. Die groteske, fast schon parabelhaft-kafkaeske Geschichte über Kowaljow, der seine Nase verliert, sie sucht und am Ende merkt, dass es nur ein Traum war, wird genauso keck und verzerrt in der Musik dargeboten. Da bleibt kein Ton auf dem anderen und oft spielt die Partitur genau das, was man in dem Moment nicht erwartet hätte. Jurowski weiß, wie er Schostakowitsch Musik allerdings richtig und passend in Szene setzt – sein Einstand als Chef mit dem Bayerischen Staatsorchester im Operngraben gelingt grandios.

© WILFRIED HÖSL

Schwieriger wird es da mit dem Treiben auf der Bühne. Das Setting erinnert an eine Turnhalle zum Abschlussball des Highschool-Jahrgangs, dann ist aber mittendrin das Geld ausgegangen und jetzt ist die halbe Wand grau und nicht weiß. Schnell wird das Bild aber unterbrochen von hereinfahrenden Räumen, Gefährt und Requisiten, die die in 16 Nummern unterteilte Oper strukturierter verfolgen lassen. Struktur ist es aber leider, die den vielen und oft spannenden Regie-Einfällen fehlt – von tanzenden Warnwesten-Männern bis zum herumtorkelnden Weihnachtsmann, der am Ende auf der Bühne liegen bleibt, gibt es zwar oft Neues zu beobachten, die Substanz dahinter erschließt sich nicht. Auch spielen sich zeitweise vier Szenarien zeitgleich auf der Bühne ab, denen man allesamt nicht recht folgen kann – das Ende davon ist Ernüchterung. Dabei ist die Jagd nach Kowaljows Nase, so absurd es auch sei, recht unterhaltsam, auch die Wahl des Bühnendesigns: nur der nasenlose Kowaljow läuft mit echtem Gesicht herum, der Rest versteckt sich hinter Fatsuit und Nasenmaske Wenig erstrebenswert.

Am Ende ist es natürlich eine musikalisch anspruchsvolle, aber als Gesamtwerk spannende Oper, die in ihrer Inszenierung zu überzeugen weiß, wenngleich einige Ansätze nicht in den Fluss richtig reinpassen wollen. Es ist skurril, absurd, grotesk, dabei aber nicht wirklich lustig, sondern in Teilen anstrengend. Wirkender ist da der Hintergrund: Schostakowitsch Oper war lange Zeit aus politischen Gründen verboten, nun wird sie von Serebrennikov inszeniert, dem aus politischen Gründen selbst das Reisen zu Arbeitszwecken verboten ist. Doch die Zeit ist weiter, der Widerstand kann funktionieren und die Barrieren überwunden werden – und somit zum Saisonstart ein spannendes Zeichen setzen: Kunst kennt keine Grenzen. Und auch kein Werten nach Nasen-Anzahl.

Kritik: Ludwig Stadler