¡Viva la revolución! – „Carmen la Cubana“ im Deutschen Theater (Kritik)

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Eine Inszenierung der „Carmen“ auf die Bühne zu bringen und dabei das Publikum mit Innovationen und neuen Facetten zu überraschen, ist heute sicher ein ambitioniertes Unterfangen. Schließlich gehört Bizets Welterfolg zu den meistgespielten Bühnenstücken überhaupt und hat im Laufe seiner 150-jährigen Historie ein Spektrum unzähliger Variationen und Spielformen hervorgebracht. Von der klassischen Oper zur Eis-Revue, vom Flamenco-Tanzfilm zur Hip-Hop-Fassung; von Plácido Domingo und Paco de Lucia zu Katarina Witt und Beyoncé: Das Werk, das ursprünglich auf den französischen Schriftsteller Prosper Mérimée zurückgeht, lässt in seinem Repertoire kaum einen Wunsch offen! Dessen ungeachtet ist der Zauber des Stückes noch lange nicht verflogen. Gerade 2018 ist wieder ein „Carmen“-Jahr, wie die Neufassungen im Rahmen der Bregenzer Festspiele, an der Semperoper in Dresden oder in der legendären Arena di Verona unzweifelhaft belegen. Dass auch in München der Mythos immer noch begeistern kann, stellt nun das Deutsche Theater bis zum 28. Oktober 2018 mit „Carmen la Cubana“ eindrucksvoll unter Beweis.

© Nilz Böhme

Regisseur Christopher Renshaw überführt Bizets Kompositionen in eine Musical-Adaption, die sich stark an den Hammerstein-Broadway-Klassiker „Carmen Jones“ anlehnt und vor lateinamerikanischem Feuer und Temperament nur so strotzt. Schauplatz ist das von der Revolution gebeutelte Kuba der späten 1950er Jahre. Die Widerstandskämpfer fordern mit aller Macht ihre Freiheit und rebellieren kompromisslos gegen die Ketten der Diktatur. In dieser Gemengelage wird die stolze Titelfigur zum Sinnbild von Unabhängigkeit, Lebenslust und Selbstbestimmung. Umringt von geradezu übersprudelndem Testosteron, hält sie jederzeit die Fäden in der Hand und entzieht sich, wann immer es ihr beliebt, allen Zwängen und Konventionen. Carmen-Darstellerin Luna Manzanares Nardo verleiht ihrer Figur eine Sinnlichkeit, Energie und Kraft, die es ihren männlichen Pendants nahezu unmöglich macht, auch nur annähernd Widerstand zu leisten. Die Stärke dieser Rebellin trägt das Stück und ihre Ambivalenz, die die Frage nach Täter- oder Opferrolle unbeantwortet lässt, ist fesselnd und verstörend zugleich.

Leider wirkt die Figur des Soldaten José (Saeed Mohamed Valdés), die ihr mit Haut und Haaren verfällt, dagegen derart schwach und fast schon neurotisch, dass aufgrund der fehlenden Fallhöhe vom tragischen Element der Geschichte bestenfalls ein fragmentarischer Rest zu spüren ist. Josés ausgeprägter Mutterkomplex, der im Liebeslied „Igual a mi mamá“ kulminiert, lässt ihn zweifellos bemitleidenswert erscheinen, doch als Heldencharakter kann er schon vor Beginn der zweiten Szene kaum mehr Wirkung entfalten. Der von allen umschwärmte Boxer El Nino Martinez, ein Inbegriff des Machismo, wird so zum unbesiegbaren Widersacher. Joaquin Garcia Meijas stattet den Champion dabei mit einer gehörigen Portion Charisma aus, die es Martinez ermöglicht, sich durchaus als Sympathieträger zu etablieren. Die Bedeutung des Boxens als Kubas Nationalsport wird dabei im Stück stark prononciert und trägt nicht unerheblich zur authentischen Atmosphäre von „Carmen la Cubana“ bei. So wird sogar der getanzte, fulminant choreographierte Aufbau eines Seilgevierts zu einer der spektakulärsten Szenen der Aufführung, die ihr Tempo bis zum Finale immer weiter steigert.

© Nilz Böhme

Die perfekte Kombination von Tanz und Musik ist es dann auch, die den Zuschauer über die gesamte Zeit an das Stück fesselt und den Abend zum Erlebnis werden lässt. Aufgrund der famosen Orchestrierung durch Alex Lacamoire, der die Opernstücke mit Salsa- und Mambo-Rhythmen kombiniert, und der Choreografie von Roclan González Chávez kann man sich dem Zauber der zweieinhalbstündigen Inszenierung unmöglich entziehen. Auch Theaterfreunde, die mit der klassischen Oper nur wenig anfangen können und stattdessen Live-Musik mit karibischen Einflüssen bevorzugen, sollten hier einen Zugang finden. Das passende Bühnenbild, welches die leicht heruntergekommenen Straßen und Bars von Havanna in die kubanischen Nationalfarben taucht, und die in jeder Hinsicht maßgeschneiderten Kostüme setzen ein weiteres Ausrufezeichen und runden den Eindruck einer überaus gelungenen Inszenierung ab.

Fazit: Abwechslungsreiches und vor allem in der zweiten Hälfte mitreißendes Tanz- und Musikspektakel, das mit viel Körpereinsatz und kubanischem Flair sein Publikum zu faszinieren und das „Carmen“-Universum zu bereichern versteht.