Als der erfolgreiche Film „Billy Elliot“ mit Jamie Bell eine Bühnenadaption spendiert bekommen hat, wurden im Londoner West End keine Kosten und Mühen gescheut. Niemand geringeres als Sir Elton John ist für den immer noch grandiosen Score verantwortlich, in Kombination mit dem großartigen Libretto von Lee Hall und einer Inszenierung, die allen Feinheiten der Vorlage mehr als gerecht wurde, gelingt ein waschechter Hit, der selbst am Broadway zündet und in London schlussendlich elf Jahre läuft. Nun gibt es erstmals eine deutschsprachige Version von „Billy Elliot – Das Musical“, die im November 2024 Premiere in der MAAG Halle in Zürich feierte.
Unlängst neben der Lichthalle, die allerlei immersive Ausstellungen beherbergt und somit sogar vor oder nach der Vorstellung zu weiteren Kulturerlebnissen einlädt, befindet sich der Eingang zur MAAG Music Hall, der Spielstätte, die seit Herbst vollends im Billy Elliot-Look erstrahlt. Im Saal selbst rotiert bereits ununterbrochen das Bergwerk-Rad, immer wieder betreten Darsteller*innen die Bühne vor dem offiziellen Beginn. Dementsprechend eindrucksvoll startet das Musical mit einer großen Ensemble-Nummer, in der das Setting sogleich deutlich wird: County Durham, Mitte der 1980er-Jahre, Arbeitergegend. Der Streik der Bergarbeiter beginnt, die Arbeiter gegen Margaret Thatcher. Darin: der 11-jährige Billy Elliot, missmutig beim Box-Unterricht, träumt mit seinem Freund Michael ein wenig vor sich hin und wirkt etwas erschlagen vom Alltag zwischen Großmutter, Streik und der stetigen Trauer über den Tod seiner Mutter. Erst als er zufällig am Ballett-Unterricht von Mrs. Wilkinson teilnimmt, beginnt etwas in ihm zu reifen, das wahre Passion auslöst…
Inmitten völliger Trost- und Chancenlosigkeit beginnt Billy also, sein Talent als Ballett-Tänzer immer weiter auszubauen und, angestachelt von seiner Lehrerin, auch ein Vortanzen bei der Royal Ballet Academy anzustreben. Die Widerstände aber sind riesig: Vater und Brüder sind anfangs dagegen, ziehen es gar brutal ins Lächerliche, später fehlt das Geld, nach London zum Vortanzen zu fahren. Doch Wille und Anstrengung führen am Ende dazu, dass sein Vater und Billy auf dem Weg nach London sind. Bis dahin folgt eine wilde Odyssee aus viel Tanz und Musik. Getragen wird das clever arrangierte Bühnenbild aber vor allem vom grandiosen Cast. Selten hat ein Zusammenspiel von doch beachtlich vielen Darsteller*innen so wunderbar-harmonisch funktioniert. Gern vergisst man die Bühnensituation, so authentisch und ehrlich wirken die Emotionen und Handlungen der Figuren.
Die Rolle des Billy Elliot gilt als eine der schwierigsten im Musical-Bereich: Gesang, Schauspiel, verschiedene Tanzformen, besonders ausgeprägte Ballett-Skills und quasi dauerhafte Präsenz in fast jeder Szene. Dass das nun auch noch von einem Kind gespielt werden muss, lässt Moritz Fischli nach dieser Vorstellung übermäßig viel Respekt verdienen. Ihm gelingen alle Komponenten großartig, er mimt einen grandiosen Billy und bekommt völlig zurecht stehende Ovationen. In nichts nach steht ihm Justin Périer als Michael, Billys bester Freund, der gern Frauenkleider trägt und ihn stets bedingungslos unterstützt. Natürlich sind ihm bei der überragenden „Expressing Yourself“-Szene im ersten Akt die Sympathien des Publikums fast schon sicher; gekonnt spielt Périer alle Möglichkeiten aus, um zu überzeugen. Auch den Erwachsenen gebührt großer Applaus für ihre großartigen Leistungen: Gabriela Ryffel als Mrs. Wilkinson, Pasquale Aleardi als Billys Vater oder Kaatje Dierks als etwas schrullige Großmutter. Wenngleich die ganze Cast-Leistung und das Zusammenspiel, wie bereits erwähnt, beeindruckend sind, bleibt festzuhalten, dass die beiden Kinder-Darsteller doch die Restlichen etwas an die Wand spielen – zur Freude des Publikums.
Doch wie ist das denn nun mit der deutschen Übersetzung? Funktioniert das? Insgesamt gesehen: ja! Die Lieder sind stimmig übertragen, alle Texte behalten ihre Wirkung, oft ist man dem Original wortwörtlich treu geblieben, was für kleine Stolpersteine sorgt (aus „Electricity“ wird so „Was Elektrisches“). Was allerdings verloren geht, ist der im Original so bezeichnende Arbeiterslang. Durham liegt im Nordosten Englands und so sprechen fast alle, einschließlich Billy, starken Dialekt, der sogar Einheimische oft zur Anstrengung gebracht hat. In der Übersetzung fällt dieser nun weg, stattdessen setzt man auf ruppigere Sprache und Kraftausdrücke. Das überträgt zwar im Groben den Sinn, gerade aber das Deutsche mit zahlreichen Dialekten und Abwandlungen hätte mehr hergegeben.
Am Ende ist das allerdings kaum ausschlaggebend, denn „Billy Elliot – Das Musical“ macht seiner Vorlage alle Ehre und sorgt für einen mitreißenden Musicalabend, der so vielfältig und eindringlich ist, wie es nur wenige Stücke schaffen können. Herzliche Empfehlung – bis mindestens Juni 2025 läuft die Inszenierung noch in Zürich!
Weitere Informationen gibt es HIER!
Bericht: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 27. Dezember 2024
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