Real Love – Big Thief in der Muffathalle (Bericht)

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Spätestens seit dem Album »U.F.O.F.« (2019) kein Geheimtipp mehr, kommen Big Thief rund um Sängerin und Gitarristin Adrianne Lenker mit ihrem aktuellen Album »Dragon New Warm Mountain I Believe in You« (2022) auf ihrer ausgedehnten Tour am 22. April in der Münchner Muffathalle vorbei. Die füllt sich rasch während des Support-Auftritts von Lutalo (Lutalo Jones), eines Cousins Lenkers, und ist bei Erscheinen der Band um 21:20 Uhr gepackt voll – kein Wunder, war das Konzert doch im Vorfeld zeitig ausverkauft. Die fehlende Luft zum Atmen hindert die Fans, eine Mischung aus vielen jungen und einigen älteren Gesichtern, allerdings nicht daran, aufmerksam zu lauschen und gut gelaunt Beifall zu spenden. Lutalo nimmt mit seiner entspannten, leicht selbstironischen Art und der weichen Stimme zur Gitarrenbegleitung im Handumdrehen die Bühne ein und erzählt zwischendurch von seiner Hütte in den Wäldern von Vermont, in der er seine musikalischen Versuche erstmals in fertigen Songs festgehalten hat. Dieses stimmungsvolle Hintergrundbild macht sich gut zu den feinsinnigen Melodien und der tiefsamtenen Stimme, die Lutalo in seinem knapp 45-minütigen Set zur Schau stellt. Grinsend wird sodann vom Erkunden Münchens berichtet und einer wohltuenden Abwechslung vom Tour-Alltag, einem Fußballmatch in der Sonne und einem Sprung in die Isar (»Kann man eigentlich in diesem Fluss baden? Ja? Okay, gut zu wissen«) mit seinem Kumpel Max. Max, welcher kurz danach auf einen Song mit auf die Bühne kommt und kein geringerer ist als Max Oleartchik, Bassist und Gründungsmitglied von Big Thief. Nach Lutalos letztem Stück, nochmals solo, das erneut wohlwollend aufgenommen wird, muss noch eine knappe halbe Stunde ausgeharrt werden, bis die gespannt erwarteten Gesichter erscheinen.

Unerwartet wortkarg dem Publikum gegenüber und auch untereinander, über das ganze Konzert hinweg, verteilen sich Big Thief auf der Bühne, die oft hervorgehobenen freundschaftlichen Bande zwischen ihnen sind am ehesten in der nicht notwendigen Kommunikation ersichtlich, im fraglosen Aufeinander-eingespielt-Sein. Am präsentesten an Lenkers Seite ist Schlagzeuger James Krivchenia, seit 2016 Teil der Band, welcher oftmals die Background-Vocals übernimmt. Sein treibendes Spiel, dessen Qualität in den Studioaufnahmen nicht so deutlich hervortritt, dynamisiert und verbindet die ganze Band. Völlig seinem ausgreifenden Spiel hingegeben, den Mund geöffnet, die Augen geschlossen, bildet Krivchenia den Gegenpol zum auf der anderen Bühnenseite still und versonnen lächelnd seine Gitarre bediendenden Buck Meek.

Zum Auftakt spielen Big Thief den wohlbekannten Song »Forgotten Eyes« vom Album »Two Hands« (2019). Spätestens beim zweiten Song, dem Klassiker »Masterpiece« vom gleichnamigen Debütalbum, sind alle alten und neueren Fans an Bord und bewegen sich auf ihrem begrenzten Raum mitunter fast ekstatisch zur Musik. Starke Stücke wie »Simulation Swarm« und besonders das zum spannungsgeladenen, krachigen Instrumentalexzess ausgefahrene »Not« sorgen mühelos für Höhepunkte des Abends. Doch auch Songs, die mit den Fersen auf dem Boden bleiben wie »Flower of Blood« oder »Dried Roses« machen sich gut und werden freudig aufgenommen. Die Verbundenheit des Publikums mit der Musik und Präsenz der vier musizierenden Individuen, die Leidenschaft, mit der Lenker in einem ausgedehnten E-Gitarren-Solo versinkt oder Meek virtuose Klangteppiche unter ihren und Krivchenias Gesang legt, bleibt über das ganze Konzert erhalten. Unschwer ist zu erkennen, dass hier nicht nur Menschen auf der Suche nach einem entspannten Abend zugegen sind, sondern treue Hörer auf einem sehnlichst erwarteten Konzertabend, für die Big Thief, ihre Musik und ihre Texte eine enorme emotionale Bedeutung haben.

Das liebgewonnene Big-Thief-Gefühl länger andauern lassen, es mit nach Hause nehmen, wollen sichtlich viele der Fans und umschwärmen den mit Tonträgern und textilen Collectibels bestückten Merch-Stand, ehe es endgültig heißt, der Band und der Muffathalle einstweilen Adieu zu sagen. Denn sich in Musik und Texten dieser Band erhoben, verloren, aufgehoben, sich ihrer Urheber seltsam nah und verbunden zu fühlen, das funktioniert, die Erfahrung lehrt es, auch in der inneren Resonanz zur Musik aus den heimischen Boxen und nicht nur vor Ort im engen Kontakt mit hunderten erhitzten Leibern.

Setlist: Forgotten Eyes / Masterpiece / Shark Smile / Real Love / Randy / Simulation Swarm / Flower of Blood / Dragon New Warm Mountain I Believe in You / Not / Change / Dried Roses / Vampire Empire / Certainty // Born For Loving You / Paul / Spud Infinity

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