That’s how I want to live my life – Benedict Wells im Literaturhaus München (Kritik)

Veröffentlicht in: Startseite | 0

Eigentlich wollte er eine Pause mit dem Schreiben einlegen, so zumindest kommt die überraschende Meldung im Jahr 2022 vom Bestseller-Autoren Benedict Wells, kurz nach der Veröffentlichung seines erfolgreichen Romans „Hard Land“. Aber nachdem er das Schreiben vor die Tür gestellt hat, spaziert es durch die Hintertür wieder rein und überzeugt ihn, einen Text über den Prozess des Schreibens für die Website zu verfassen. Mehr und mehr ufern die Worte aus, bis der Text den Umfang eines Buches annimmt und schlussendlich in „Die Geschichten in uns: Vom Schreiben und vom Leben“ mündet. Ein Sachbuch, das sich zwar größtenteils dem Werkzeugkasten des Autors und vieler weiterer Autor*innen widmet, aber im ersten Teil auch (auto)biografisch erzählt, wie Wells zum Schreiben kommt und was ihn nachhaltig geprägt hat. Auf seiner kurzen Lesetour kommt er dabei auch am 11. Oktober 2024 ins Literaturhaus München. Mit dabei: Singer-Songwriter Jacob Brass.

© Roger Eberhard

Die rund 300 Karten für den Saal sind zum Vorverkaufsstart rasend schnell vergriffen, im kleinen Nebenraum findet ein spontanes Public Viewing statt, bei dem man zumindest im Anschluss der Signierstunde beiwohnen kann. Über 500 Leute, so sagt es zumindest Brass, schauen zudem von zuhause im Livestream zu. Eine stolze Menge, aber schon zu „Vom Ende der Einsamkeit“, spätestens aber seit dem Erfolg von „Hard Land“ gilt Benedict Wells als einer der relevantesten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart. Im Gegensatz zu schillernd-extrovertierten Kollegen wie Benjamin von Stuckrad-Barre scheut er meist das Rampenlicht, gibt wenige Interviews und geht nur selten auf Lesereise. Wenn er aber auf der Bühne sitzt, mit seinem Bühnenkollegen scherzt und von seinem Schreibprozess erzählt, ist das nicht gezwungen, dann ist da auch eine kontinuierliche Freude zu spüren. Wells ist nicht hier, weil er muss, sondern weil er will.

Mit etwas Verspätung starten beide in den Abend und finden schnell einen angenehmen Mix aus Leseabschnitten, gespielten Liedern und spontanen Anekdoten und Einwürfen. Brass und Wells kennen sich schon länger, die Chemie und Vertrautheit der beiden ist spürbar, auch wenn sie immer wieder ihren eigenen Plan etwas umwerfen. Dabei ist die Thematik des Abends alles andere als locker und vertraut, denn nicht die Abhandlungen aus der Schreibwerkstatt, dem zweiten Teil des Buchen, stehen im Vordergrund, sondern der autobiografische erste Teil. Eine Herausforderung für den sensiblen Autor, der gerade bei Stellen über seine bipolare Mutter oder auch über seine Heimzeit mit sich zu kämpfen hat. Die Stille und Anspannung im Raum ist spürbar, doch auch diesen Themen kann und will er sich widmen. Kaum Werke gäbe es über sehr junge Heimkinder oder das Aufwachsen mit Eltern mit mentaler Erkrankung, sagt er. Dann müsse er eben selbst dafür sorgen.

Durchgehend düster ist es aber nicht, die Interaktionen auf der Bühne und mit dem Publikum sind humorvoll, auch die Passage des jungen Benedict Wells in Berlin, der sich als „verkapptes Genie“ sieht und noch stark ausbaufähige Erstwerke verfasst bringt die Münchner*innen zum Lachen. Auch ein Witzebuch, das Brass ihm zu Beginn hingelegt hat, findet irgendwann Verwendung und darf mit ein paar Kalauern glänzen. Zwar weniger humorvoll, aber dramaturgisch angenehm passend fügen sich die Lieder von Jacob Brass ein. Einerseits spielt er Songs, die im oder mit dem Buch eine Rolle spielen – beispielsweise „Kaputt“ von Wir sind Helden oder „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader –, andererseits seine starken Eigenkompositionen wie „Lost In Beijing“ oder das ebenso auf die eigene Kindheit bezogene „House On Wheels“. Ein besonders eindrucksvoller Moment gelingt bei einem brandneuen Stück, bei dem das Literaturhaus lautstark jubelt: „That’s how I want to live my life“.

Wie er sein Leben nun verbringen möchte, hält Benedict Wells sich noch offen. Eine Fortsetzung von „Hard Land“, ein Theaterstück oder etwas ganz anderes – es gibt viele Ideen, die auf ihn nach Abschluss seines Studiums warten. Ein Glück, dass die Passion beim Schreiben zurückgekehrt und geblieben ist und sich Wells mit Vehemenz und Willensstärke zu seiner Anfangszeit entgegen zweifelnder Meinungen – sei es seine Familie oder sein weiterhin lektorierender Ex-Lehrer Herr Grimm, der an diesem Abend ebenso im Publikum sitzt – nicht unterkriegen hat lassen. Als er einem anwesenden Lehrer seines Grundschulheims, der ihm zum gymnasialen Übertritt verholfen hat, dankt, kommen ihm die Tränen. „Ich war nur ein einziges Mal gut in der Schule, das war bei ihnen.“ Mittlerweile wirkt Wells angekommen, ausgeglichen, zufrieden. Die Auszeit und das Studium haben ihn öffentlich selbstbewusster werden lassen. Kein Wunder also, dass er und Jacob Brass lautstark nach knapp zwei Stunden bejubelt werden. Endlos lange Buchinschriften, wie er sie sonst hinterlassen würde, gäbe es zwar diesmal wegen eines Sehnenrisses nicht, am Ende sitzt Benedict Wells aber trotzdem stundenlang am Signiertisch und unterhält sich mit seinem Publikum. Nicht nur fast genial, sondern wahre Hingabe.

Kritik: Ludwig Stadler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert