Getrieben und gejagt – „Auf einem einzigen Blatt Papier“ in der Studiobühne (Kritik)

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Bundespräsident Steinmeier weilte dieser Tage in Jerusalem zum World Holocaust Forum, um über die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu sprechen, über Neuanfang und einen gemeinsamen Weg. Auch die Werkstattinszenierung von Auf einem einzigen Blatt Papier‘ in der Studiobühne TWM hat Neuanfänge und gemeinsame Wege zum Thema. Vor Allem aber spielt das Stück in Israel. Diese terminliche Übereinstimmung ist natürlich Zufall, aber dennoch sehr passend.

Das Bühnenbild, von Regisseurin Magdalena Heffner entworfen, zeigt silberne Folien und von der Decke herabhängene Spiegel, die sich an ihren Fäden unaufhörlich um sich selbst drehen. Damit versinnbildlichen sie das Dilemma von Protagonist Yonathan, oder Yona oder Yossi, er scheint selbst nicht genau zu wissen, wie er heißt, dreht sich immer um sich selbst, ist getrieben, fast gejagt in einem Kreislauf, der nicht zum Ende kommen will. Der Text von Mirna Funk, die in Berlin und Tel Aviv lebt, zeigt einen Ausschnitt aus diesem verwirrenden Leben eines jungen Israelis. Stefano Marstaller bewältigt in der Titelrolle die Herausforderung der Dauerpräsenz. Er verlässt den Spielraum fast nie und versucht, die komplexe Gefühlswelt des undurchsichtigen Eigenbrödlers Yonathan zu durchsteigen. Dabei nimmt er das Publikum der vollbesetzten Studiobühne mit in eine Welt voller Neuanfänge und abgebrochener Brücken. Was mit ihm nicht stimmt, wird schnell klar: er wechselt immer wieder die Identität, Name, Alter, Beruf sogar Ticks wie einen Sprachfehler. Aus medizinischer Sicht leidet der junge Mann an einer multiplen Persönlichkeitsstörung, könnte man meinen. Vielleicht wird er aber auch einfach nicht mit Enttäuschungen fertig. Signifikant ist an den Wechseln schließlich, dass sie immer mit wechselnden Beziehungen einher gehen. Rückblenden geben einblick in die Verhältnisse zu früheren Freundinnen. Vom Teenagerschwarm Tamar (Charlotte Rusch) bis zur Exfreundin Keshet (Lola Vasco) bricht er mit jeder Beziehung, scheint die Frauen nicht mehr zu kennen.

Dieses sprunghafte Verhalten drängt ihn zunehmend in die Einsamkeit. Das Stück zeigt einen Ausschnitt dieses einsamen Weges. Auffällig ist in der Inszenierung die starke Narration des Textes, wenngleich die Handlung nicht chronologisch erzählt wird. Während Marstaller das Innenleben Yonathans glaubhaft verdeutlicht, über das ‚Buch des Lebens‘ spricht, aus dem er immer wieder die Seite reißt, um eine neue zu beginnen, überzeugt Rosa Marie Lorensen als die aktuelle Freundin Ella, wie charismatisch so ein geheimnisvoller, charmanter junger Mann sein kann, sodass man ihm einiges durchgehen lässt. Ebenso macht sie klar, wie das Misstrauen, die Befürchtung, mit dem Partner könnte irgendetwas nicht stimmen, eine Liebe langsam zerrüttet. Kevin Just beeindruck als Yonathans Vater Arik, sowie als Schulfreund Tomer mit seiner Wandelbarkeit.

Die komplexe Textvorlage war ursprünglich als Hörbuch konzipiert. Die Inszenierung möchte laut Regisseurin Heffner die Mittel des Theaters für sich sprechen lassen. Dieses Unterfangen gelingt wirklich gut. Durch die Inszenierung werden einige Subebenen eröffnet, einige Gefühlswelten deutlicher, als wenn der Text nur angehört würde. Die studentischen Inszenierungen auf der Studiobühne fallen häufig durch Konzeptionen auf, denen die Laiendarsteller nicht gerecht werden können. ‚Auf einem einzigen Blatt Papier‚ zeigt, dass es auch anders geht. Konsequenten, aber minimalistischen Gestaltungsentscheidungen ist es zu verdanken, dass dieses Stücke alle Möglichkeiten von Text, Spielern und Bühne genau richtig ausschöpft und eine solide Regiearbeit präsentiert.

Kritik: Jana Taendler