Bewegung ohne Fortschritt – „Alceste“ in der Staatsoper (Kritik)

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Die Bayerische Staatsoper hat es sich seit einigen Spielzeiten schon zur Aufgabe gemacht, selten gespielte Opern auf den Plan zu nehmen. Hierbei durften wir schon beispielsweise „Il trittico“ in seiner Gänze bewundern, zuletzt auch erst die Rarität „Karl V.“ Nun folgt „Alceste“ von Christoph Willibald Gluck in seiner zweiten Pariser Fassung – eine prinzipiell recht bekannte, dennoch kaum gespielte Barock-Oper. Die Tragödie bringt Sidi Larbi Cherkaoui auf die Bühne, der als choreografierender Regisseur arbeitet und natürlich auch hier mit Tanz und Bewegung agieren lässt.

© Wilfried Hösl

Hier stellt sich allerdings auch gleich zu Beginn das größte Problem der gesamten Oper heraus: wie soll man mit Bewegung arbeiten, wenn das Werk selbst kaum Bewegung hat? Wenngleich die Handlung des liebenden Königspaares Admète und Alceste, die für ihre Liebe zum jeweils Anderem bis in den Tod gehen, eigentlich relativ viel Spielraum bietet und die Akteure auch authentisch agieren lassen könnte, will es bereits im Libretto schon nicht so recht zünden. Eine schwere Grundvoraussetzung, die man mit einer dementsprechend packenden Inszenierung aber problemlos in den Griff bekommt – zuletzt im Mai 2018 von der Theaterakademie August Everding im Cuvilliéstheater eindrucksvoll bewiesen. Cherkaoui vertraut allerdings etwas zu sehr auf sein Rezept, die Gefühlslagen auf die Bewegungen seiner Tanzgruppe Compagnie Eastman zu transportieren. Einen Strich durch die Rechnung machen ihm da Charles Castronovo und insbesondere Dorothea Röschmann, die zwar als Königspaar gesanglich brillieren können, aber darstellerisch äußerst blass bleiben.

© Wilfried Hösl

Das lässt diverse Breakdance-Einlagen der Freude natürlich unfreiwillig komisch erscheinen, wenn es reaktionslos angenommen wird. Der Streit zwische Admète und Alceste im zweiten Akt wird kaum ausgearbeitet, den Tänzern wird der Ausdruck überlassen, Text und insbesondere Musik geraten in den Hintergrund – letztendlich genau das, was die Oper am stärksten auszeichnet: die Musik. Das Bühnenbild dagegen hält sich für Tanz und Akteure ebenso zurück, bleibt relativ starr, weiß und ändert nur selten minimal durch Beleuchtung oder leichte Verschiebungen die Position. Mit der Belichtung spielt sich Michael Bauer gekonnt stark. Verdunkelt, schummrig ist es fast schon, als das Volk und Alceste ihren Schmerz ausdrücken – dagegen überbordend hell, eigentlich schon grell, im zweiten Akt bei der Freude über das wiedergefundene Leben des Königs. Doch die Freude währt nur kurz, es wird wieder dunkler, Alceste trägt zu viel Schmerz mit sich.

© Wilfried Hösl

Insgesamt fehlt „Alceste“ einfach maßlos die Bewegung, die Cherkaoui nicht transportieren kann – die Ausdrücke des Tanzes verfließen zu sehr, sodass es letztendlich nur Blickfang bleibt, der die restlichen Punkte zum Beiwerk werden lässt. Große Momente schafft aber Michael Nagy als Oberpriester des Apollon im 1. Akt und anschließend im finalen Akt als Hercule – seine Stimmwucht und Ausstrahlung übertrumpft die des restlichen Ensembles deutlich und lässt ihn absolut glänzen in beiden Rollen. Überraschend wird es zum Schluss dann zwar nicht mehr, das Konzept bleibt sich bis zum bitteren Ende treu, dennoch bleibt die Auflösung, das Überleben beider Personen, angenehm erfrischend im Opernkontext, in dem selten die Hauptpersonen abschließend mit einem Happy End dem Publikum entgegenstehen. Nach rund 150 Minuten rettet das leider aber wenig. Musikalisch auf hohem Niveau – die Inszenierung selbst hat aber so viel Esprit wie ein stilles Wasser.

Kritik: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 6. Juni 2019