Krieg kennt keine Sieger – „Aida“ in der Staatsoper (Kritik)

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Als vergangenes Jahr die Neuproduktion von „Aida“ an der Bayerischen Staatsoper Premiere feierte, war der Unmut groß. Wie könne man so heißgeliebten, traditionellen Stoff, der für Pomp und Überfluss bekannt ist, so trostlos inszenieren? Und doch, gerade mit etwas Reifegrad, wächst diese Inszenierung immer mehr und mehr. Wenn euphorisch der Krieg besungen wird und im Fokus lediglich eine am Kindersarg trauernde Mutter beleuchtet wird, dann ist das eben hier die reale Sichtweise und nicht im Sinne eines möglichst korrekt aufgeführten Librettos. In der Aufführungsrunde der Saison 2023/24 wechselt die Besetzung reichlich durch, u. a. übernimmt Elena Guseva die Rolle der Aida und Jonas Kaufmann den Radamés.

© Wilfried Hösl

Giuseppe Verdis Klassiker „Aida“ steht also auf dem Programm. „Aida“ spielt im Krieg. Im Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien/Nubien. Der ägyptische Heeresführer verliebt sich in eine Kriegsgefangene. Erst die Dramatik dieser Umstände gibt der Handlung die Tiefe, auf Basis derer sich Tragödien entwickeln können. Ohne Krieg keine Gefangenen, kein Zwiepalt zwischen Treue zur eigenen Nation und der Liebe zum Feind. Ohne Krieg kein Hochverrat und kein lebendig eingemauert werden. Daher wird nicht in einem von Gold nur so strotzen ägyptischem Pharaonenpalast gelitten, gekämpft und gestorben, sondern in einer trostlosen Kulisse, die an eine Turnhalle erinnert. Die einzige Pyramide, die sich das Bühnenbild von Paolo Fantin genehmigt, ist ein den ganzen Raum einnehmender Berg aus Asche in der zweiten Hälfte des Abends. Das ägyptische Volk trägt einfache funktionale Kleidung (Kostüm: Carla Teti). Aida verteilt in Jogginghose wärmende Decken an Kinder. Im Dach der Turnhalle klaffen Löcher wie von Explosionen. Regelmäßig regnet es daraus Asche auf Radamès, der doch eigentlich Kriegsheld sein soll. Die Stimmung ist gedrückt. Mutet das ägyptische Volk ärmlich an, ist das noch kein Vergleich zu den gefangenen Äthiopiern, die geschunden daher kommen.

Als den ägyptischen Generälen ihre Orden verliehen werden, treten diese nicht als Kriegshelden auf, sondern als Invaliden: in Rollstühlen, mit verstümmelten Gliedmaßen, mit langfristigem Gebrechen. Ein Krieg hat nur Verlierer, egal, auf welcher Seite man steht. So berechtigt diese Sichtweise in der aktuellen politischen Situation ist, stellt sich vor allem im Publikum die Frage: Warum spielt man „Aida“ in einer so trostlosen Manier, wenn es doch schon genug Krieg und Leiden auf der Welt gibt? Geht man nicht auch in die Oper, um sich ablenken zu lassen und auf andere Gedanken zu kommen? Wo sind die eindrucksvollen Kostüme? Wo ist der Ausflug in eine unbeschwerte, fantastische Welt? Will man der Message gerecht werden oder dem Erbe der Oper? Darüber lässt sich anhand dieser Inszenierung vortrefflich streiten. Das Staatsorchester unter der Leitung von
Marco Armiliato jedenfalls geht den gesamten Abend über in die Vollen und gibt Alles, mitunter so, dass die Sänger*innen nur schwer zu verstehen sind. Elena Guseva spielt und singt die bodenständige und hilfsbereite Aida sehr überzeugend, Jonas Kaufmann gelingt die Zerrissenheit zwischen Liebe und Vaterlandstreue wunderbar, gesanglich hat er die Rolle über die Jahre bereits bestens intus. Den größten Applaus des Abends erhält zurecht Raehann Bryce-Davis als Amneris. Ihre Vielschichtigkeit zwischen Liebe, Rache, Verzweiflung, Wut und Vertrautheit kommt nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich zur Geltung. Die Wut fließt hörbar mit ein und sorgt für ein in der Oper selten gesehenes, wirklich ergreifendes Spiel. Chapeau!

© Wilfried Hösl

Durch das Ausbleiben des glorifizierten ägyptischen Prunks entsteht ein tiefgründiger und nachdenklicher Abend. Die Ästhetik der Grabstätte, mit bunten Luftballons und surreal tanzenden Gästen in der Grabeskammer steht im Kontrast zu der aussichtslosen Stimmung des Abends. Zu fragen bleibt: Wenn man ein Kriegsdrama zeitgenössisch inszenieren möchte, würden sich dafür nicht andere passende und weniger mit optischen Erwartungen versehene Stoffe finden oder ist es gerade die Verantwortung des größten deutschen Opernhauses in Zeiten von Krieg genau so eine Aida zu spielen. Vielleicht sind jene lauten Stimmen der Beschwerde dann besser in den pompös-traditionellen Inszenierungen aufgehoben. Aber ist das dann wirklich so, wie Oper im Jahr 2024 sein sollte?

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