Geld oder Leben – „Junk“ im Residenztheater (Kritik)

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„Es beherrscht der Obolus seit jeher unsern Globulus. Mit anderen Worten: Der Planet sich primär um das eine dreht!“ – so startet das 1985 veröffentlichte Lied „Geld oder Leben“ der Band Erste Allgemeine Verunsicherung. Und egal ob Titel oder Zitat, beides könnte nicht passender auf das zeitlich im gleichen Rahmen angesiedelte Stück „Junk“ von Ayad Akhtar zutreffen. Dieser war sogar persönlich anwesend, als der Bankenkrimi am 22. April 2018 im Residenztheater seine Premiere feierte – und mit ihm ein Saal voller begeisterter Zuschauer.

© Thomas Aurin

Anfangs gibt es erst einmal ein leises Klopfen, das, entgegen der Erwartungen, nicht lauter, nur statischer wird. Der erste Blick auf die Bühne eröffnet ein starkes, fast schon überschwängliches Bild etlicher Eindrücke, denn die feste Konstruktion nutzt letztendlich das liebste Spielzeug aller Regisseure aus: die Drehbühne. Unterteilt in einem inneren und äußeren Kreis, drehen sich diese Abschnitte durchgehend in verschiedener Art und Weise, bleiben gerne auch einmal stehen und transportieren schlussendlich die ganzen 17 (!) Darsteller auf der Bühne immer dorthin, wo ihr Ziel ist. In der Mitte davon anfangs und gelegentliche weitere Male sichtbar: eine fast zweigeteilte Sau, herunterhängend, ein Dreh- und Wendepunkt für alle Akteure. Das Geld, die Macht? Das bleibt offen, wenngleich Regisseurin Tina Lanik immer einen Aspekt in ihrer Inszenierung hervorhebt: alles dreht sich um das Geld. Ausnahmslos alles, was sich spätestens am Ende wieder einmal bestätigt.

© Thomas Dashuber

Die Geschichte mag als großes Konstrukt denkbar einfach wirken, verfängt sich aber sehr schnell in komplexere Strukturen. Prinzipiell treten mehrere Parteien gegeneinander an. Einerseits der Wall Street-Hai und übererfolgreiche Geschäftsmann Robert Merkin, der gemeinsam mit dem mittelmäßig erfolgreichen Firmenleiter Israel Peterman das Traditionsunternehmen Everson Steel über einige Umwege aufkaufen will; andererseits natürlich Thomas Everson jr., Leiter des Stahl- und Pharmazie-Unternehmens, der die Firma behalten will und als einziger im gesamten Stück ein wenig Empathie und Mitmenschlichkeit zeigt. Als er sich beispielsweise bei seinem Berater Maximilien Cizik über das Wohlergehen seiner Familie erkundigt, wirkt das als so massiver Fremdkörper und schier als größter menschlicher Akt der gesamten Spielzeit des Werkes, dass man selbst im Publikum nur noch stutzig und verwundert dem Treiben zusieht. Man möchte sagen, wie naiv Everson es angeht, und ertappt sich dabei jedes einmal wieder, dass man selbst nur noch die rationale Komponente betrachtet und dabei die 15.000 Arbeitsplätze, die bei dem „Buy-out“ wegfallen, vollkommen vergisst. Ein stetiges Abstumpfen bei den Machtspielchen der Großen.

© Thomas Aurin

Star des Abends dürfte fraglos Till Firit als Robert Merkin sein, der den schmierigen und unbeschreiblich unsympathischen Drahtzieher mit so einer Arroganz spielt, wie es das Residenztheater selten gesehen hat. Wunderbar durch die Bankenwelt verkommen und beim Spiel mit den ganz Großen einem totalen Wahn verfallen: Gunther Eckes als Israel Peterman.
Es ist nicht möglich, jeden Darsteller aufzuzählen, dafür ist das Ensemble zu groß und dafür die individuellen Leistungen zu mächtig. Die beiden Alt-Unternehmer, so verschieden sie auch seien, Thomas Everson jr. und Leo Tresler werden von Oliver Nägele und Manfred Zapatka aber mit so einem Enthusiasmus und so einer Feinsinnigkeit für die Rolle gespielt, dass jeder Auftritt von ihnen ein garantiertes Gelingen der Szene verspricht – unabhängig vom fantastischen Buch Akhtars, welches zwar mit teilweise sehr schnellen und verschrobenen Banken-Dialogen aufwartet, aber dabei in 120 Minuten einen durchgehenden Spannungsbogen hält. Man braucht seine Zeit, alle Charaktere kennenzulernen und zu ordnen, aber sobald geschehen, ist man gefangen.

Es geht pausenlos um Macht. In der Wall Street bedeutet Macht Geld. Im Wahlkampf des Bürgermeister-Kandidaten Guiseppe Addesso bedeutet Macht Erfolge. Und für wenige Personen, wie Merkins Frau Amy geht es darum, weniger dem großen Geld hinterherzulaufen, sondern lieber kleiner und sauberer, dafür aber länger zu arbeiten. In gewissermaßen eine Form von langfristiger Macht. Wie sehr man innerhalb dieses Rennens und Ringens nach Macht abstumpft und in der eigenen Welt gefangen ist, sieht man an der Final-Szene, wenn Merkin im Gefängnis sitzt und dem niedrig verdienenden Gefängniswärter Curt, der es schafft, seine Familie gerade so durchzubringen, erklären will, wie er Geld investieren kann. Er ist vollkommen dem „Junk“ verfallen. Denn „Junk“, das sind ja nicht nur unsichtbare Wertpapiere, quasi „Müll“-Papiere, das ist auch ein anderes Wort für Stoff, von dem man genau eines wird: süchtig.

Kritik: Ludwig Stadler

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