Überraschend selten ist es auf der Bühne zu erleben, gerade in Deutschland ist die letzte Möglichkeit schon fast ein Jahrzehnt her, und das, obwohl es unangetastet eines der größten deutschsprachigen Musicals aller Zeiten ist: „Elisabeth – Das Musical“. Das Werk von Komponist Sylvester Levay und Autor Michael Kunze gilt seit seiner Uraufführung im Jahr 1992 und des darauffolgenden, immensen Erfolgs, der weit über die österreichischen und sogar europäischen Grenzen reicht, als absolutes Meisterwerk und Paradebeispiel, wie düster, intensiv und dennoch ergreifend eben auch das Musical hierzulande sein kann. Gerade die Historie der beliebten Sissi bekommt einen ernsten Anstrich, indem sie sich stets mit dem Tod konfrontiert sieht. Schon seit einigen Jahren wird das Musical jährlich konzertant vor dem Schloss Schönbrunn in Wien aufgeführt, nun geht genau diese Produktion auf langersehnte Deutschland-Tour und ist seit dem 8. Januar 2025 im Deutschen Theater München zu sehen.
Wer nun erwartet, das Musical genauso zu sehen, wie man es vom DVD-Mitschnitt oder YouTube-Videos kennt, wird wohl enttäuscht werden: Das Stück wird konzertant aufgeführt, d.h. das 19-köpfige Orchester residiert auf der Bühne, auf Bühnenbild wird verzichtet. Halbszenisch und choreografiert ist es am Ende dennoch, statt eines Vorhangs gibt es eine Leinwand, die passend zu den Szenarien unauffällig die Hintergrundbilder wechselt. Die Darsteller*innen sind in den Originalkostümen, auch auf Requisiten wird nicht verzichtet und insgesamt fühlt man sich zu keinem Moment so, als wäre das hier gerade ein sprödes Konzert. Im Gegenteil, oft vergisst man das Orchester auf der Bühne, so eingesogen ist man vom Spiel und Gesang der Akteur*innen. Am Ende ist Setting, Kostüm und Konzeption sogar in dieser konzertanten Fassung umfangreicher und detaillierter als bei mancher Full-Musical-Produktion.
Hat man „Elisabeth – Das Musical“ noch nicht gesehen, ist das weniger tragisch, denn auch für einen Erstbesuch eignet sich diese Version. Zu verdanken ist das nicht zuletzt dem Cast, der bis in die Nebenrollen gelungen besetzt ist. Dennis Hupka als Erzherzog Rudolf und Dennis Henschel als Kaiser Franz Joseph haben zwar nicht unzählige Bühnenmomente, überzeugen aber mit gekonntem Spiel und sicherem Gesang. Gerade die Todesszene von Rudolf gelingt – auch wegen der grandiosen Ensemble-Konstellation – perfekt. Der Kaiser-Mörder Luigi Lucheni führt traditionell durch das Stück und wird von Riccardo Greco aufmüpfig, ruppig und gern mal brüllend interpretiert. Er scherzt mit Publikum und Orchester und schafft es mit humorvollen Akzenten dem sonst düsteren Fortgang die nötige Prise Entertainment zu geben. Bei den Ensemble-Liedern wie „Kitsch“ führt er mit der Hauptstimme bestens durch, dennoch darf hier vor allem das mit 16 (!) Personen beachtlich große Aufgebot an Sänger*innen glänzen. Besonders das Finale von „Milch“ hinterlässt mächtig Eindruck.
Dreh- und Angelpunkt auch in dieser Fassung: die Titelrolle und ihr ewiger Begleiter, der Tod. Wer hier einen muskelbepackten Mark Seibert erwartet, der in jedem Moment tonal in die Vollen geht, irrt. Lukas Mayer nähert sich seiner Version des Todes grundverschieden. Manchmal ganz unscheinbar schleicht er über die Bühne, dabei aber mit so einer einnehmenden und vor allem betörenden Präsenz, dass man den Blick auf die androgyne Gestalt im weißen Anzug nicht eine Sekunde abwenden will. Gesanglich geht er leise, sanft, manchmal sogar hauchend und wie ein mitwirbelnder Schleier vor, sein solistisches „Die Schatten werden länger“ ist von so einer Sanft- und zugleich Klarheit, dass man mit irrsinniger Gebanntheit lauscht. Dabei wählt er diesen Gesangsweg keineswegs, weil er die Höhen nicht aussingen könnte – das tut Mayer oft genug in den großen Einsätzen wie „Der letzte Tanz“, „Wenn ich tanzen will“ oder – Höhepunkt des Abends! – „Die Schatten werden länger“ im Duett mit Hupka. Fesselnd!
Ihm steht Roberta Valentini als Kaiserin Elisabeth in nichts nach. Bereits 2015, als das Musical zuletzt in Deutschland zu sehen war, hat sie die Rolle der Kaiserin übernommen, so eindrucksvoll, dass man sich bis heute an ihre eindrucksvolle Leistung erinnert. Eine große Freude also, dass Valentini wieder in die Rolle schlüpft, die sicherlich als eine ihrer Paraderollen gelten darf. Wieso sie damals wie auch diesmal eine perfekte Wahl ist, beweist sie mit wunderbaren Spiel durch all die Lebensjahre der Kaiserin, ob als fröhliches, unbedarftes Mädchen, später als unglückliche Kaiserin auf der Suche nach Selbstbestimmtheit und zum Schluss gefangen in Bitterkeit und ihren Depressionen. Stimmlich verlangt die Rolle einiges ab, doch egal ob die Duette, „Nichts, nichts, gar nichts“ oder das ikonische „Ich gehör nur mir“ – Valentini meistert die Lieder grandios. Am Abend bleibt also eine konzertante Aufführung, die szenischer als viele normale Musicals agiert und einen überragenden Cast auffährt, der stehende Ovationen beim Applaus fast schon zur Selbstverständlichkeit werden lässt. Chapeau!
Besuchte Vorstellung: 14. Januar 2025
Kritik: Ludwig Stadler
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