„Wenn wir in Europa sind, wird es schon aufhören, du wirst sehen“, sagt Boubacar zu Blessing, um sie zu beruhigen. Ihre Albträume der gescheiterten Flucht, der Angst des Ertrinkens, sie werden aufhören. Ob es denn so gekommen wäre, wird man nie erfahren – Blessing schafft es nicht nach Europa. Ihre Geschichte, auch die ihres Mannes, und dem Fortgang derer, wird in „Kassandra/Prometheus. Recht auf Welt“ erzählt, einem Diptychon, das am 19. Dezember 2019 im Marstall des Residenztheaters Premiere feierte.
Zweigeteilt präsentiert sich der Abend. Anfangs kommt „Kassandra oder Die Welt als Ende der Vorstellung“, ein überarbeitetes Stück aus dem Jahr 2010 über die Geschichte der oben erwähnten Flüchtlingsdame Blessing und ihren Leidensweg; nach der Pause schließt „Prometheus. Wir Anfänge“ an, das sich, relativ klassisch orientiert, dem Thema Klimawandel zuwendet, metaphorisch in Form von Prometheus. Letzteres ist als Auftragswerk von Autor Kevin Rittberger entstanden, was letztendlich ein relativ langes und außerordentliches Stück im Marstall hinterlässt. Leichte Kost ist hierbei auch nicht zu erwarten – es scheint wie das für jedes Theater mittlerweile verpflichtende Stück zur Thematik Flucht. Was die Kollegen auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Dauerfeuer präsentieren, ist nun auch mit einem Stück im neuen Residenztheater vertreten – leider teils mehr gewollt als gekonnt.
Dabei ist der „Kassandra“-Block spannend und kreativ gestaltet, zumeist etwas überladen mit den Spielereien, aber lebt von Dynamik und einem in mehrere Abschnitte gegliederten Handlungsstrang, der auch gerne mal das gerade Gesehene in Kontext setzt und mit einer kruden Journalistenverleihung die westliche Sichtweise zeigt, während zuvor noch von der quälenden Reise von Blessing unterrichtet wird – ein „Lehrstück“, wie es zu Beginn schon heißt. Aussagen findet man in den gut 70 Minuten ausreichend, die gesamte Geschichte ist geprägt von der fantastischen Ensemble-Arbeit. Wieso man da also nun „Prometheus“ nach der Pause viel zu monologhaltig folgen lässt und damit die gerade erarbeitete Annäherungsweise mit sich dauernd ändernden Formen ersetzt durch einen spröden Text, der von einem mehr lustlos blödelnden Max Meyer als Jesus-Prometheus eher verwirrend als verständlich vorgetragen wird, bleibt fraglich. Schade, dass sich Regisseur Peter Kastenmüller für einen so starken Bruch zur Überflutung der Ideen entscheidet – so gerät sowohl Aussage als auch Aufmerksamkeitsspanne auf ein Minimum. Ein chorischer Abschluss macht es da schwerlich besser. Vielleicht ist es klüger, tatsächlich zwei für sich stehenden Teile vor sich zu sehen – und für letzteren einiges an Ausdauer mitzubringen.
Kritik: Ludwig Stadler