Musik, die von Herzen kommt – Sheku und Isata Kanneh-Mason im Prinzregententheater (Kritik)

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Am 11. November 2019 pilgerten nicht nur zahlreiche Familien zum Laternenumzug im Kindergarten, sondern auch viele gespannte Konzertbesucher*innen ins Prinzregententheater – um sie zu hören: die Geschwister Sheku und Isata Kanneh-Mason, zwei von sieben Kindern einer britischen Musikerfamilie mit Wurzeln in Sierra Leone und Antigua. Sheku erlangte breitere Bekanntheit, als er von Meghan Markle höchstpersönlich zu ihrer Hochzeit eingeladen wurde und vor einem Millionenpublikum Cello spielte.

© Lars Broges

Das Programm des Abends beginnt unkompliziert mit Ludwig van Beethovens 12 Variationen für Cello und Klavier op. 66. Diese basieren auf dem Thema der Arie Ein Mädchen oder Weibchen aus Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte. Während Isata die vielen Verzierungen wunderbar leichtfüßig und klar artikuliert, wählt Sheku einen sehr dramatischen und beschwerten Ton, der für dieses Werk gerne sorgloser sein dürfte. Nichtsdestotrotz ist die unaufgeregte Harmonie, mit der die beiden zusammen musizieren, stimmig und authentisch. Ebenso authentisch sind Shekus blau gestreifte Socken, die er zu seinen Anzugschuhen trägt.

Gerade am Anfang fällt es einem durchaus irritierend auf, dass an diesem Abend zwei schwarze Künstler auf der Bühne stehen und klassische Kammermusik spielen. Das ist jedoch keinesfalls ablehnend oder rassistisch zu verstehen, sondern vielmehr als Appell, dass sich in der klassischen Musikszene dringend etwas ändern muss. Warum ist man nämlich nicht an diesen Anblick gewöhnt? – Weil es kaum schwarze klassische Musiker*innen gibt, insbesondere an der Weltspitze. Keine Idole, zu denen man gerade als schwarzes Kind aufschauen kann und denen man es gleichtun will. Sheku und seine Geschwister versuchen ihrerseits bereits, durch Konzerte in (speziell gemischten) Schulen etwas anzustoßen und schwarzen Kindern zu zeigen, dass die klassische Musik ebenso für sie gemacht wurde und ihnen nicht verschlossen bleiben soll.

Von Beethoven landen wir mit einem Zeitsprung von fast 200 Jahren bei dem polnischen Komponisten Witold Lutosławski und dessen reihentechnisch geprägten Stück Grave – Metamorphosen für Cello und Klavier. Als Erinnerung für den Musikwissenschaftler und Debussy-Fan Stefan Jarociński komponiert, entsprechen die ersten vier Töne dem „Wald-Motiv“ aus Claude Debussys Oper Pelléas et Mélisande. Diese Eröffnung präsentiert Sheku auch packend und eindrucksvoll, während Isatas Anschlag aber manchmal nicht die nötige Schärfe besitzt.

© Lars Broges

Letztes Werk vor der Pause ist die Sonate für Cello und Klavier von Lutosławskis Zeitgenossen Samuel Barber. Im ersten Satz geht Sheku leider nicht mit der erforderlichen Spannung und Energie in die Melodiebögen, sodass diese ein wenig verlieren. Auch die dynamische Balance zwischen Cello und Klavier gerät durcheinander, Isata übertönt ihren Bruder bisweilen. Metrisch ist diese rhythmisch schwierige Sonate jedoch immer transparent. Danach folgt das Adagio, welches zuinnerst berührt mit seinen langen Kantilenen, die Sheku mit viel Vibrato schwelgerisch ausgestaltet. Im dritten Satz wiederum setzt er dieses nur sparsam – genau richtig – ein. Spätestens hier beweisen die Geschwister nun ihre Virtuosität. Isata, die in fast allen Konzertankündigungen nur in einem Nebensatz erwähnt wird, braucht sich keinesfalls hinter ihrem Bruder zu verstecken. Ihr Spiel ist stets anmutig und grazil, sie greift aber auch zu, wenn es sein muss. Sie ist auf jeden Fall so viel mehr als nur eine Begleiterin.

Die abschließende Sonate für Cello und Klavier von Sergej Rachmaninoff, die ihrerseits fast 45 Minuten dauert, ist Shekus Lieblingssonate. Rachmaninoff hat ihr bewusst nicht den Titel „Cellosonate“ gegeben, da der Klavierpart dem des Cellos mindestens ebenbürtig ist.

Shekus Ton durchdringt hier vom ersten Moment an. Durchwegs jede Phrase dieser Sonate ist mit Liebe geformt. Das Zusammenspiel der Geschwister erreicht hier eine phänomenale Symbiose. An der Seite der dunklen, raumgreifenden Cellolinien glitzern die komplexen Klaviersoli. Es ist sowieso faszinierend, wie weich Isata den Flügel auch ohne das Una-corda-Pedal klingen lassen kann. Ebenso können die wogenden Tempovariationen und mächtigen Klimaxe so natürlich-aufregend nur bei einem Team gelingen, das sich musikalisch blind versteht.

Mit Rachmaninoffs Elégie als Zugabe verabschieden sich Sheku und Isata von einem begeisterten Publikum. Ihr unverkennbares Potenzial, und vor allem die Liebe zur Musik, die man aus jedem Ton heraushören kann, werden die Geschwister (zu Recht) noch ganz groß werden lassen.

Kritik: Bea Mayer