On The Brink of Extinction – Napalm Death im Backstage (Konzertbericht)

Napalm Death, Misery Index, Full of Hell und The Body: Das ist ein deftiges Paket zwischen Hardcore, Grindcore, Death Metal, Sludge und (sagen wir) Experimental und verspricht einen langen lauten Abend in der Backstage Halle an diesem 10. Juli. Gemächlich füllt sich der Zuschauerraum, als um 19 Uhr die beiden Musiker von The Body, Chip King (Gitarre und Gesang) und Lee Buford (Drums, Effekte) unkompliziert vom Merchstand zur Bühne schlendern.

The Body haben sich unter anderem durch ihre zahlreichen Kollaborationen und stilistische Vielfalt einen Namen gemacht. An beidem mangelt es ihrem Auftritt jedoch deutlich: Haben sie nicht zwei starke Alben mit den ebenfalls anwesenden Full of Hell aufgenommen? Statt diese Zusammenarbeit wenigstens partiell auch live fortzuführen, beharrt das Duo auf seinem minimalistischen Setup. So interessant das Projekt sich auf seinen Veröffentlichungen auch ausnehmen mag, so ist die Befremdung, die in weiten Teilen des Publikums zu herrschen scheint, heute durchaus nachvollziehbar: Die aus einem Wust aus Störgeräuschen herausragenden schrillen monotonen Schreie von Chip King in Verbindung mit dem überpegelten Schlagzeug weisen von Song zu Song kaum Differenzen auf.

Wie The Body unterscheiden sich auch Full of Hell recht deutlich von den Platzhirschen des Abends, Misery Index und Napalm Death: Zwar auch musikalisch, mehr noch aber, was Botschaft und Ästhetik (und damit Zielgruppe) angeht. Sie haben, könnte man sagen, den Horror metaphysiziert.

Full of Hell haben aber keine Schwierigkeiten, auch auf ganz materialer Ebene zu überzeugen. Aus einem steten Strom von zerhackten Samples und wummernden Electronics brechen die kurzen, brutalen Songs hervor wie Gigers Alien aus dem Bauch. Entsprechend bewegt sich auch Sänger Dylan Walker, der sich wie von Krämpfen geschüttelt um sein Mikrophon windet und seiner Kehle die unwahrscheinlichsten gequälten Schreie entringt. Schade ist es nur, dass die Band keinen ordentlichen klanglichen Druck hinter ihren Auftritt bekommt. Da kann Drummer Dave Bland seine Sticks in Stücke dreschen und Walker sich noch so sehr engagieren, vor allem im Vergleich mit den folgenden Misery Index klingen Full of Hell gedämpft.

Dabei müssen die Amerikaner sogar auf ihren zweiten Gitarristen Mark Kloeppel verzichten, den ein Notfall kurzfristig zur Heimreise veranlasst hat. Doch auch zu dritt entfesseln Misery Index enorme Brachialität. Rabiat lassen sie Song auf Song folgen, geben sich kaum mit Erläuterungen und Geplänkel ab. Und laut ist das! Die Halle ist inzwischen gut gefüllt, und locker genug, um einem enthusiastisch sich entladenden Pit bequemen Raum zu geben. Zwar ungleich simpler als ihre Vorgänger, gehen Misery Index jedoch mit großer handwerklicher Professionalität und Erfahrung zu Werke, und das zahlt sich aus.

Setlist: We Never Come in Peace / Manufacturing Greed / The Great Depression / The Spectator / Sleeping Giants / New Salem / Conjuring the Cull / You Lose / Sheep and Wolves / The Choir Invisible / Hammering the Nails / Ruling Class Cancelled / The Carrion Call / Traitors

Wohltuend, wie unkompliziert diese Bands einander ablösen, dem noch allerorten spürbaren Punkethos zufolge verzichtet man auf alle Theatralik und formfokussierte Kommunikation, sondern: kommt zum Punkt. Und wenn eine Band weiß, wie das geht, dann sind das Napalm Death, die mit „You Suffer“ noch immer Rekordhalter des kürzesten Songs von Welt sein dürften.

Wie seine Vorgänger an diesem Abend spricht Sänger Barney Greenway sein Publikum freundlich und über längere Strecken gar auf deutsch an, flicht auch ab und zu längere Statements sowohl selbstbezüglicher (neues Album kommt „reasonably soon“!) als auch politischer Natur (die von der guten Sorte) ein. Doch die Briten haben sich keineswegs aufs Labern verlegt. Was Greenway da zusammenschreit, während er wie ein tobender Dad auf dem Heimtrainer über die Bühne stampft, ist phänomenal. Obwohl der Altersdurchschnitt der Band nicht mehr der Niedrigste ist und alle Beteiligten nach einer Weile deutliche Anstrengungssymptome sehen lassen, schlägt sich das in der Performance nicht nieder. Gerade Songs vom jüngsten Album „Apex Predator – Easy Meet“ werden dem Publikum mit überwältigender Drastik um die Ohren gehauen. Natürlich dürfen auch Klassiker wie „Scum“ und das Dead Kennedys-Cover „Nazi Punks Fuck Off“ nicht fehlen, ehe sich um kurz nach elf Band und Publikum zur Genüge ausgetobt haben und sich Napalm Death mit „Smear Campaign“ auf bald verabschieden.

Setlist: Multinational Corporations / It’s a M.A.N.S. World! / Smash a Single Digit / On the Brink of Extinction / Practice What You Preach / Narcoleptic / Continuing War on Stupidity / Call That an Option? / Greed Killing / Suffer the Children / The Code Is Red… Long Live the Code / Unchallenged Hate / Cesspits / Inside the Torn Apart / Standardization / Scum / Life? / Deceiver / The Kill / You Suffer / Dead / Victims of a Bomb Raid (Anti Cimex) / Nazi Punks Fuck Off (Dead Kennedys) / Persona Non Grata / Smear Campaign