Als Andrew Lloyd Webber und Tim Rice sich 1970 an Musik und Text für „Jesus Christ Superstar“ machten, war der gleichnamige Titelsong bereits veröffentlicht. Ein Song-Zyklus über den Leidensweg Christi, der die Verhältnisse und Gefühle der einzelnen Charaktere beleuchtet als eine große Show, das war das Ziel – und das ist gelungen. Bis heute wird die „Rockoper“, wie sie sich selbst nennt, weltweit gespielt – so auch letztes Jahr in der Reithalle. Inzwischen ist das Gärtnerplatztheater wieder am Platz und die diesjährige Wiederaufnahme kann glücklicherweise im Haupthaus stattfinden – diese Chance haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen.
Bereits zu Beginn strömen Massen an Menschen auf die Bühne. Ein riesengroßes Solisten-Ensemble, einige Gruppierungen und der gesamte Chor summieren sich eben zu einer dementsprechenden Menge an Menschen, die in schwarz verhältnismäßig unspektakulär und dennoch beeindruckend umherläuft, nur um natürlich den Auftritt der wichtigsten Person des Abends anzukündigen: Jesus. Gleich zu Beginn schürt der Gegenspieler Judas Häme und Kritik, Jesus hätte seinen Weg verloren und wäre nur noch an Popularität interessiert. Genau das stellt Regisseur und Intendant Josef E. Köpplinger stärker heraus: die beiden Ziele und Persönlichkeiten der Protagonisten, ihre Zweifel, ihre Sympathiewerte, aber eben auch die Antipathiewerte. Kann man Jesus als Antihelden bezeichnen? Nein, das wohl nicht. Aber dass eine positiv konnotierte Hauptperson in einem Musical vielschichtiger erzählt und beleuchtet wird, dürfte eine Seltenheit sein, vor allem zur Veröffentlichungszeit.
Die Kostüme? Modern, als hätte sich diese Odyssee in einer jugendlichen Gruppe zugetragen. Das Bühnenbild? Schlicht, nur ein Gerüst, quasi eine Treppe mit verbindenden Gang, aber die Metall-Version des Bühnenbilds zu „Die lustige Witwe“. Das Orchester spielt hierbei übrigens ganz hinten auf der Bühne, teilweise vollkommen verdeckt, aber ordentlich verstärkt durch die Musikabnahme. Endlich gelingt es dabei auch, den Gesang so einzustellen, dass er mit der instrumentalen Musik harmoniert und gut verständlich bleibt. Das ist natürlich wichtig, denn die Musik ist das treibende Symbol des Stückes als auch der Inszenierung, es geht von einem Szenario ins nächste, von einem Song zum nächsten Klage- oder Freudenlied. Dialoge gibt es nicht, Pausen sowieso nicht – die Darstellerinnen und Darsteller stehen unter Dauerbeschuss und müssen durchgehend abliefern. Bei der immens starken und unfairerweise auf Musical-Galas immer nur mit dem durchschnittlichen „Gethsemane“ abgespeisten Musik ist das auch nötig, denn wäre die Gesangsleistung nicht stark, würde das Konzept nicht aufgehen. Natürlich, das Musical ist Show – aber diese Show wäre ohne tadellose Interpreten nicht lebendig. Daher macht auch die Pause zum Durchschnaufen für die Akteure Sinn, denn bei einer Reinlaufzeit von 100 Minuten hätte es sonst wohl wirklich keine Unterbrechung gebraucht.
Glücklicherweise weiß fast das gesamte Ensemble gesanglich zu überzeugen. Besonders stark ist dabei das Trio Armin Kahl (Jesus), John Vooijs (Judas) und Dionne Wudu (Maria Magdalena). Auch sonst wirkt es so, als ob die Sänger nur auf diesen Moment gewartet haben, endlich zu beweisen, was in ihnen steckt. Erwin Windegger als Pontius Pilatus, der bei „Priscilla“ bereits schauspielerisch brillieren konnte, durfte nun auch dem Publikum die höchsten Töne entgegenschleudern – und dieses reagiert mit fleißigem Applaus. All das mündet dennoch in einem einzigen, aber riesengroßen Problem: das Englisch. Dass sich dafür entschieden wurde, das Musical in der Originalsprache aufzuführen, ist zwar etwas eigenartig, aber akzeptabel. Leider sind manche Akteure der englischen Sprache nicht so recht mächtig und lassen die Worte schnell einmal wie das Klischee eines starken, deutschen Dialekts klingen – das ist vielleicht anfangs noch ulkig, aber sehr schnell eher störend, wobei sich natürlich die Frage stellt, wieso das jetzt unbedingt sein musste, wenn es sichtlich nicht alle stemmen können.
Immerhin täuschen die fantastische Inszenierung und die mächtigen Gesangskünste über das Sprachproblem hinweg. Wenn die Leute, die damals nach der Kreuzigung Jesu geschrien habe, heutzutage ihn als großen Helden feiern, ist das ein riesiges Paradoxon, was Köpplinger schlicht dadurch ausdrückt, indem er die jubelnden „Jesus Christ Superstar“-Schilder umdrehen lässt zu „Crucify him!“ Was für ein Prophet, der spaltet und vereint – und dabei vollkommen weg von Religiosität in dieser großen Show seinen Auf- und Abstieg feiert.
Kritik: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 26. Juli 2018