Freitag, 25. Mai 2018. Das Wochenende geht los, die Sonne strahlt, die Temperaturen sind dementsprechend. Eigentlich das perfekte Wetter, etwas im Englischen Garten zu machen, an den Isarauen zu spazieren oder am Flaucher Zeit zu verbringen – oder einfach im Biergarten a Maß trinken. Einige hundert Münchnerinnen und Münchner haben da aber schon seit Wochen oder gar Monaten andere Pläne: We Are Scientists, das wunderbare Rock-Trio aus New York, beehren die bayerische Landeshauptstadt nach ganzen drei Jahren wieder, dieses Mal im schnuckligen Strom in der Lindwurmstraße. Bereits am Vortag war das Konzert restlos ausverkauft, dementsprechend noch heißer ist es schon beim Betreten der sowieso nicht gerade für Kühle und Frischluft bekannten Unterführungs-Location. Aber egal, heute zählt nur die Musik und die Vorfreude im Raum ist deutlich spürbar.
Als sich um 21 Uhr das erste Mal der Raum lichtet, entern Some Sprouts die Bühne. Die Regensburger und Münchner haben die große Ehre, die gesamte Deutschland-Tour supporten zu dürfen; für eine doch noch recht kleine Band wie sie garantiert ein dementsprechender Push in der Wahrnehmung. Ob die Wahl allerdings so recht glücklich ist, bleibt zweifelhaft – ihr manchmal gemächlicher, manchmal wenig schnellerer Indie-Pop ist meilenweit von „Rock“ entfernt und wird dementsprechend vom Publikum auch skeptisch aufgenommen, gegen Ende des Sets sind die Gespräche im Saal auch wesentlich lauter als die Ansagen. Dabei ist der dennoch gitarrenlastige Pop gar nicht so verkehrt, zwar etwas einfallslos und irgendwie auch arg gleichklingend mit den aktuellen Genre-Vorreitern im Indie, dennoch gut. Wirklich problematisch stellt sich nur der Frontmann heraus, der mit seiner säuselnd-jammernden Stimme ohne Ecken und Kanten, dafür mit gelegentlichen schiefen Tönen, das Gesamtbild ordentlich drückte. Auch sollte er vielleicht nicht das Keyboard dann hochdrehend, wenn der talentierte Rhythmus-Gitarrist sein (grandioses!) Solo spielt. Insgesamt ein wenig wie die Münchner Indie-Hoffnung Matija auf Handbremse mit wesentlich untalentierteren Sänger. Schade.
Die Wartezeit auf den Hauptact vollzieht sich, der Temperatur geschuldet, dann doch eher als grausam-schweißnasser Akt, aber die Belohnung kommt Punkt 22 Uhr, als die Lichter einem blinkenden Blaulicht weichen und We Are Scientists die Bühne betreten. Und was dann folgt, kommt einem einzigartigen Adrenalin-Trip von 85 Minuten gleich, den man garantiert vorerst nicht mehr vergessen kann. Die Band, Sänger und Gitarrist Keith Murray und Bassist Chris Cain im Fokus, rast über die Bühne, springt hochmotivierend während eines Solos Auf und Ab, verspielt sich dabei kein einziges Mal und liefert ein Stage-Acting, eine Performance, ein Erlebnis ab, das man lange nicht mehr mit so einer Passion gesehen hat. Songs wie „The Great Escape“, die seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2006, also vor rund 12 Jahren, durchgehend auf der Setlist stehen, werden mit so einer Hingabe und Begeisterung gespielt, dass man denkt, es wäre die Live-Premiere der Stücke.
Allgemein wirkt die Band zwar wahnsinnig strukturiert und routiniert, liefert aber ein derartiges Feuerwerk auf der Bühne ab, dass die irrwitzigen Ansagen über die genaue Bezeichnung des „Incredible Hulk“ und der Vorliebe von kross gebratenem Brot von Bassist Chris letztendlich ordentliches Lachen verursachen und zu keiner Zeit irgendwie durchgeplant erscheinen. Dennoch bleiben derartige Ansagen eine Seltenheit – in erster Linie bricht das Trio es auf das Minimum herunter, was man von einem Konzert erwartet: viele Songs, gut ausgewählt und fantastisch serviert. Teilweise kommen da auch mal drei Werke am Stück in einer unglaublichen Geschwindigkeit, das Publikum mosht glücklich, hüpft mit oder steht einfach nur mit einem lächelnden Gesicht da. Denn verdammt, was kann man denn auch anderes machen, als diese unfassbare Leistung, diese pure Euphorie zu lieben?
Die Setlist selbst ist ein schönes Spektrum der veröffentlichten Werke. Natürlich wird vom neuen Album „Megaplex“ genauso manches ausführlich dargeboten wie auch vom geliebten „With Love And Squalor“, darunter natürlich auch „Nobody Move, Nobody Get Hurt“, der Hit der Amerikaner, der einfach immer wieder Eskalation verursacht. Auch für drei Zugaben lassen sich die Herren nicht zu lange bitten und beenden den Abend mit „Textbook“, während Sänger Keith durch die Menge streift und von einer Bartheke zur nächsten hüpft. Fannähe – das beweist er nicht nur hier, sondern in einem viel größeren Maß. Bereits vor Beginn der Vorband, über ihren ganzen Auftritt hinweg und DIREKT nach dem eigenen Auftritt steht der Frontmann am Merchstand, quatscht mit den Fans, signiert alles, was man ihm in die Hände drückt und reagiert auf jegliche Ansprachen unglaublich sympathisch. In so einer herzlichen und intensiven Form – lange nicht mehr wahrnehmbar! Jeder der Konzertbesucher, die sich auf einen netten Abend mit guter Musik eingelassen haben, dürften jetzt wohl etwas erhalten, womit sie nicht gerechnet haben: das perfekte Konzert, das jegliche Erwartungen übertrifft.
Setlist: Your Light Has Changed / The Great Escape / Buckle / I Don’t Bite / Now Or Never / Chick Lit / Notes In A Bottle / It’s A Hit / Too Late / This Scene Is Dead / In My Head / Make It Easy / One In, One Out / After Hours / No Wait At Five Leaves / Rules Don’t Stop / Nobody Move, Nobody Get Hurt – Zugaben: Dumb Luck / Nice Guys / Textbook
Bericht: Ludwig Stadler