Ein Antiheld kommt selten allein – „Thunderbolts*“ in der Filmkritik

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Erst vor wenigen Monaten wurde Sam Wilson in „Captain America: Brave New World“ offiziell eingeführt, nun widmet sich das Marvel Cinematic Universe in ihrem 36. Film nicht mehr den amerikanischen Nationalhelden, sondern den eigenwilligen Alleingängern, die so gar nicht kompatibel mit anderen Personen sind: den „Thunderbolts*“. Allerlei Side-Charaktere der vergangenen Marvel-Jahre, die in ihren Startfilmen auch gern mal der Antagonist waren, finden auf unglückliche Art und Weise zusammen und können nur auf die eine Weise ihre Flucht erreichen, zu der sie so gar nicht fähig sind: Zusammenarbeit.

Dreh- und Angelpunkt ist ab der ersten Sequenz Yelena Belova, gespielt von Florence Pugh, die in den vergangenen Jahren zur A-Riege in Hollywood aufgestiegen ist. Ihre zynisch-trockene Art ist seit ihrem ersten Auftritt in „Black Widow“ recht beliebt und so ist es eine feine Entscheidung, die Geschichte aus ihrer Perspektive zu erzählen – nicht zuletzt, weil ihr Charakter die meiste Tiefe verspricht und Pughs schauspielerische Qualitäten selbst im Marvel-Bombast scheinen dürfen. Dass sie mit ihren Mitstreiter*innen zusammenkommt, ist ein recht einfacher Plot: CIA-Chefin Valentina Allegra (Julia Louis-Dreyfus), die die Anti-Helden unter sich arbeiten lässt, muss einem Impeachment-Verfahren entgehen und entscheidet sich, die Riege an schwierigen Heldenfiguren mit all den Akten in einem unterirdischen Bunker zu vernichten. Dass aber nun gerade dieser unkompatible Haufen dadurch zusammenfindet, war kaum vorherzusehen.

© Disney / Marvel Studios

So bietet „Thunderbolts*“ ein Wiedersehen mit Ghost (Hannah John-Kamen), John Walker (Wyatt Russell), dem Red Guardian (David Harbour) und MCU-Urgestein Bucky Barnes (Sebastian Stan), die teils erst im Laufe des Films zusammenfinden, bevor sie klassisch gemeinsam gegen das Böse kämpfen. Das „Böse“ ist aber dieses Mal kein übermächtiges Wesen aus dem All oder ein Gegner, der die ganze Welt auslöschen will, sondern offenbart sich unerwartet recht spät und ist so simpel wie einfach: die eigenen Ängste, Unsicherheiten, Verfehlungen, literarisch schlicht die Dämonen. Gerade Yelena und der ominöse Bob (Lewis Pullman), der in die Geschichte geworfen wird, haben offensichtlich mit depressiven Zuständen zu kämpfen und führen damit gleich mehrere Schlachten innerhalb des Films – eine Perspektive, die so noch nie im Genre des Superhelden-Films gezeigt wurde und für eine dunkle, zweite Ebene folgt, aus die der Film gar nicht erst versucht auszubrechen. Er bleibt auch mal etwas länger da, wo es wehtut.

Weit über ein Drittel gleicht eher einem Kammerspiel und ist vielleicht deshalb auch so erfrischend anders als das klassische „Avengers Assemble“-Spiel: Niemand will hier zusammenarbeiten, niemand passt zusammen. In den richtigen Momenten zündet „Thunderbolts*“ aber auch viele zynische Gags und Situationskomik, die ziemlich treffsicher funktionieren und nicht vom düsteren Grundton ablenken, sondern sich in diesen einfügen. Allgemein verliert sich der Film nicht in Cameos, tausend Side-Storylines und allerlei Aufarbeitung der unzähligen Vorgängerfilme, ebenso wird keine erzwungene Liebesgeschichte hineingeworfen, es geht einzig und allein um die gebrochenen Figuren und wie diese versuchen, ein wenig mehr in der Welt zurechtzukommen und ihren Platz zu finden. Ob das Team-Up aus dem ulkigen Red Guardian, dem unangenehmen John Walker, der rätselhaften Ghost, dem legendären Winter Soldier, der unberechenbaren Yelena und Bob nun die Marvel-Welt nachhaltig verändern wird? Man darf gespannt sein. Für einen äußerst gelungenen Einstandsfilm, der sich nicht scheut, sichere Pfade zu verlassen, hat sich der Zusammenschluss schon gelohnt.

Kritik: Ludwig Stadler

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