Soulful – St. Paul and the Broken Bones im Technikum (Konzertbericht)

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Als Sänger Paul Janeway und Bassist Jesse Phillips sich Mitte der 2000er erstmals trafen und beschlossen, ein gemeinsames Musik-Projekt zu starten, stellte sich nicht nur schnell heraus, dass klassischer Soul der richtige Stil sein würde, sondern sie hätten auch gleich von Anfang an gefühlt, so die Musiker, dass da etwas besonderes in der Luft liege. Das sollte sich bewahrheiten. Denn St. Paul and the Broken Bones dürfen guten Gewissens als das größte Phänomen des Soul unserer Zeit betitelt werden. An diesem 30. Oktober 2018 stattet die insgesamt achtköpfige Band dem Münchner Technikum einen Besuch ab.

© Sari Thayer

Als recht pünktlich gegen 20:30 die Jungs von The Americans die Bühne betreten, füllt sich die Halle schneller als gedacht. Die treibenden Rhythmen erfassen das Publikum in Augenblicken und der Name ist dabei absolut Programm: Blue-Jeans, Lederstiefel, Western-Applikationen und die wunderbaren Vintage-Instrumente geben den Musikern einen Look zwischen 50er-Jahre-Rock’n’Roll-Star und Cowboy. Auch manche Besucher sind angezogen, als wären sie eher hier wegen der Vorband als für den Hauptact. Selbst die Beleuchtung gibt sich US-amerikanisch in den Farben blau, rot und weiß. Die Musik ist ein spannender Mix aus Country, Rockabilly, Root Rock und Americana Style und erinnert nicht selten an Größen wie Buddy Holly, CCR oder Bruce Springsteen. Besonders auffällig ist, dass sich die Band viel auf der Bühne bewegt und ständig zu den oft eingängigen, stimmungsvollen Liedern in bester Rock’n’Roll-Manier mitgeht. Dass die Musiker auch ruhig und gefühlvoll können, zeigen sie gegen Ende ihres Sets mit zwei schönen Balladen, die mit Banjo und Orgel einen besonderen Charme erhalten. Interessant hierbei, dass der männlich-konservative Eindruck nicht in allen Punkten zutrifft: So ist der Song „Bronze Star“ zum Beispiel ein Liebeslied gerichtet an eine weibliche Soldatin, von einem Mann, der daheim auf ihre Rückkehr wartet. Seit einer Woche seien sie nun mit St. Paul auf Tour, so der Frontmann, und es sei erst ihr zweiter Besuch in Deutschland. Der Jubel aus dem Publikum lässt vermuten, dass es nicht der letzte gewesen sein wird.

Setlist: Nevada / Last Chance / Can’t Contain / Stand True / Long Way From Home / Hooky / I’ll be Yours / Harbor Lane / Bronze Star / Stowaway / Right Stuff

Nachdem in der Umbaupause die Bühne nicht nur vom zweiten Drumset, sondern von so ziemlich allem befreit worden ist, was zuvor noch an Gitarrenverstärkern, Instrumenten und Equipment zu sehen war, startet um 21:45 Uhr unter tiefblauer Beleuchtung die Intro zur Show von St. Paul and the Broken Bones. Nach kurzem Synthie-Vorspiel treten unter Applaus die Musiker auf und legen ein funkig-souliges Fundament. Links der Gitarrist Browan Lollar, rechts Bandleader Jesse Phillips am Jazz- und Precision-Bass. Im Hintergrund die Horns: Chad Fisher (Posaune), Jason Mingledorff (Alt-/Bariton-Saxophon, Querflöte) und Allen Branstetter (Trompete). Jeweils auf ihrem Podest sitzen Schlagzeuger Andrew Lee und der Mann an den Tasten, Al Gamble. Dann lautes Kreischen aus dem Publikum, wie man es gar nicht erwartet hätte. Sänger Paul Janeway betritt die Bühne in einem vollständig mit goldenen Pailletten besetzten Mantel. Passend dazu trägt er goldene Sneaker, Hose und T-Shirt sind schwarz. Nicht nur Statur und Hornbrille erinnern an den großen deutschen Komiker Heinz Erhardt. Humorvoll und charismatisch tanzt der dickliche Mann mit breitem Grinsen etwas unbeholfen über die große, freie Bühne und erntet dabei schon ordentlich Applaus. Als er dann aber an das Mikrofon tritt, brechen die ersten Reihen wieder in Kreischen aus. Janeways Stimme deckt alle Facetten des Soul ab – und noch weit mehr. Ruhige, sanfte Parts mischt er gekonnt mit seiner kräftigen Kopfstimme. Und wenn er richtig loslegt, kann keiner im Publikum mehr an sich halten.

Eine Besonderheit des Auftritts: Ansagen gibt es während des Konzerts keine. Die Songs gehen Schlag auf Schlag, die Musiker spielen durch. Die Menge nimmt das sogar eher dankend entgegen, die vorderen Reihen tanzen so ausgelassen, wie man es selten in Münchner Konzerten erlebt. Ob dieser Power, dieser Performance, dieser Anstrengung ist es wenig verwunderlich, dass mitten im Set ein reiner Instrumental-Jam eingeplant worden ist, in dem vor allem Fisher und Mingledorff  mit akzentuierten Soli ihre Spielfertigkeit unter Beweis stellen. Kurze Zeit später kommt auch schon Sänger Paul zurück auf die Bühne – in der Hand eine Tasse Tee! Will er seine beanspruchte Stimme schonen oder ist das vielleicht mehr ein weiterer Ausdruck seines guten Humors, der an diesem Abend leider etwas zu wenig Platz findet? Denn als Laneway im letzten Song die Musiker vorstellt, geht er derart gewitzt und unterhaltsam vor, dass man sich wünscht, er hätte schon den ganzen Abend hindurch mehr zu Wort kommen dürfen. Für jeden Musiker hat er sich einen Spruch überlegt und reagiert dabei spontan und souverän; der Schlagzeuger und er bewerfen sich mit einem Handtuch, der Saxophonist habe einen „P.H.D. in S.A.X.“ und weitere Scherze. Er lobt die Musiker nicht zu viel: Die Band hat Erstaunliches geleistet. Mag manch besonders kritischer Hörer auch das an wenigen Stellen etwas schleppende Spiel des Drummers bemängeln (vielleicht ein Problem zwischen Spieldynamik und Click im Ohr?) oder das kleine technische Problem des Gitarristen, so haben die Instrumentalisten in ihrer Gesamtleistung zweifelsfrei eine technisch einwandfreie und geschmackvolle Show abgeliefert.

Doch das Spektakulärste kommt wie so oft zum Schluss. Um 22:55 Uhr starten die Zugaben, die das Publikum nahezu abermals kreischend und jubelnd empfängt. Beim letzten Song „Broken Bones“ springt Frontmann Paul plötzlich ins Publikum und durchsingt die ganze Halle; er geht bis ganz hinten an die Garderobe, nimmt sich einen Stuhl und beginnt (vielleicht ein ein humorvoller Verweis auf den Songtitel?) darauf herumzuturnen. Er stellt, kniet, legt sich auf den Stuhl und singt dabei unbekümmert mit schmetternder Stimme seiner Band entgegen. Das Publikum bejubelt und berührt ihn von beiden Seiten, als er sich wieder den Weg auf die Bühne bahnt. Noch einmal Abschied nehmen, nun aber wirklich. Um 23:15 Uhr entlässt die Truppe das Publikum mit einem letzten ironischen Schmankerl in die Nacht. Aus den Lautsprechern schallt das „Trololololo“ von Eduard Anatoljewitsch Chil – wie die beiden Bands des Abends ein aus der Zeit gefallenes Phänomen des 21. Jahrhunderts.

Setlist: Intro / Livwithoutu / Flow With It / All I Ever Wonder / Like A Mighty River / Grass Is Greener / – Instrumental Jam – / Mr. Invisible / Convex / NASA / Gotitbad (Extended) / Apollo / Bruised Fruit – Zugaben: Sanctify / Call Me / Broken Bones

Bericht: Thomas Steinbrunner