Circles – Sóley im Ampere (Bericht)

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Gastbeitrag von Julia Heuel

Am Abend des 9. November 2021 tröpfeln die Zuschauer ins warm erleuchtete Ampere, lassen sich nieder, trinken und plaudern. Alsbald durchquert ein Grüppchen schwarzgekleideter Menschen still den Zuschauerraum, um auf der Bühne in quadratischer Formation an ihren Instrumenten Aufstellung zu nehmen. Sóley selbst sitzt vorne an der Bühne, seitlich zum Publikum, und stellt eine Tasse mit zwei Teebeuteln neben ihrem Keyboard ab. Dann wendet sie sich zum Publikum und erzählt sanft und lächelnd vom Leben auf Tour. Dieses seltsame Gefühl, beim Verlassen einer Stadt nie zu wissen, ob man am Abend in der nächsten Stadt spielen wird oder schon wieder nicht. Ein seltsames Gefühl ist es auch auf der Empore des Ampere zu stehen: dicht an dicht, während draußen vor der Türe das Virus umgeht.

© Julia Heuel

Sóley lässt das Publikum zunächst mit älteren Stücken zu sich kommen. In sich gekehrt sammelt sie sich vor dem Keyboard. Dann wandern ihre Finger ganz leicht über die Tasten und lassen gedankenverlorene Melodien ins Publikum wandern, die Phantasien wachrufen: Verträumtes Schlendern über einen Jahrmarkt, die Herbstsonne ist orange auf den geschlossenen Augenlidern, dort hinten dreht sich das alte Karussell. In diese fabelhafte Welt der Amélie schleichen sich zunehmend dunkle Bass-Untertöne, eine krächzende Geige wandert langsam mit ins Bild und bringt schleichend einen vieldeutigen Nebel mit sich, sie kratzt und ächzt und schwingt sich empor, bis sie mit der zarten und doch unverwechselbaren Stimme Sóleys zusammentrifft, kurz auf dem selben Ton vibrierend verweilt und sich dann in eigenwilliger Gangart davonmacht.

Das Schlagzeug hält sich ganz still, füttert wie der Bass nur den dunklen Teppich unter Sóleys perlenden Klavierweisen. Dann scharrt und schnarrt es mehr und mehr, der Bass wird mächtiger, und man spürt: Der Pfad windet sich in verwunschene Gefilde. Das vor drei Wochen erschienene Album „Mother Melancholia“ ist erreicht, die maximale Düsternis des Cover-Artworks ist Programm. Aus der Musik wie aus dunklen Wäldern heraus treten stumme Frauengestalten, Regen fällt. In sein Rauschen mischt sich das von brennendem Holz: Scheiterhaufen, auf denen Frauen als Hexen hingerichtet wurden. Ihr Wehklagen lagert sich an sanfte Klaviermelodien an („Circles“), ehe unvermittelt ein Dröhnen den Raum erschüttert. Die Musik wird wuchtig und gnadenlos wie die Gezeiten auf der stürmischen Insel Island, Sóleys Heimat, die lähmende Langsamkeit verwandelt sich in eine fast manische Energie – um schließlich wieder zurückzufallen in nebelhaft wabernde Klangteppiche um die helle Stimme Sóleys, von wohlig düsterer Farbe und den charakteristischen leichthändigen Klavierfolgen durchsetzt, die zurückweisen auf die klassische Ausbildung der Künstlerin. Die aus den Instrumenten des in sich gekehrten Musiker:innen-Vierecks fließende Atmosphäre hüllt den von Nebelschwaden und rotem Lichtschein durchwaberten dunklen Raum ein und ist unendlich beruhigend. Nur manchmal taucht man aus dem hypnotischen Mäandern auf, wenn Sóley zwischen den Stücken mit leichter Stimme Worte in den Raum wirft, die von weit her zu kommen scheinen.

Das letzte Stück weckt mit seinem pulsierenden Rhythmus aus der melancholischen Versunkenheit und macht trotz seines kargen Titels auf eine getragene Weise froh („Desert“). Nach den letzten Schlucken des inzwischen kalt gewordenen Tees empfiehlt Sóley noch die schwarzen Kerzen in ihrem Merchandising als Weihnachtsgeschenk für die Großmütter und drückt München ihre Zuneigung auf Deutsch aus (das sie immerhin in der Schule lernte). Die Musiker:innen verlassen fast schüchtern die Bühne – in verschiedene Richtungen. Bei der Rückkehr zur unvermeidlichen Zugabe kann Sóley nicht anders, als die Anekdote zu teilen, dass die Unsicherheit über den richtigen Abgang die Musiker auch schon zielstrebig in eine Besenkammer führte, wo sie bis zum Zugabe-Applaus ausharren mussten

Sóley und die zweite Frau der Gruppe stimmen eine wortlose Melodie an, in die das Publikum ohne Zögern einstimmt. Wir alle sitzen im Halbdunkel und singen: langsam, gemeinsam. Kurz bevor wir  in die Herbstnacht hinaus müssen, ist es noch einmal wie Nachhausekommen, heraus aus dem Regen in einen dämmrigen Flur, und von irgendwo aus dem Haus kommen Stimmen.

Setlist: Fantasía / Stofuvals / The Sun Is Going Down / Kill the Clown / One Eyed Lady / Circles / Blows Up / Hysteria / In Heaven / Parasite / Sunrise Skulls / Desert / / Zugabe: Krómantík

Bericht: Julia Heuel