Digitale Gemeinsamkeit – „Simon“ in der Schauburg (Kritik)

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Schon auf dem Weg vom Foyer in die Große Burg wummern Bässe, das Bühnenbild ist dunkel, die Zuschauer suchen sich auf Bänken, so hoch wie Barhocker, Plätze aus, ein bisschen wie im Club. Auf der Spielfläche, nur wenige Meter von den Premierengästen, steht ein Schlagzeug mit zahlreichem untypischen Schlagwerk, auf langen, von der Decke hängenden Stoffbahnen werden die Silhouetten tanzender Menschen projiziert. In einem mannhohen Würfel mit transparenten Wänden steht ein Junge im Superman-Hoodie. Kommunikation im digitalen Zeitalter unter Jugendlichen ist das Thema der Musiktheater-Produktion „Simon„, mit Text von Christopher Grøndahl und Musik von Gerhard Stäbler, die am Freitag in der Schauburg deutsche Erstaufführung feierte.

© Cordula Treml

Jugendliche und das Internet. „Die Jugend hängt nur noch am Handy und redet kaum mehr mit einander!“, schießen einem da die Nörgeleien älterer Generationen durch den Kopf. Weil das digitale Zeitalter für die jungen Menschen seit 2000 so relevant ist, hat Grøndahl seinen Text dem Thema gewidmet.
Das Stück kommt mit zwei DarstellerInnen und zwei MusikerInnen aus. Simon ist der Einzelgänger. Der Nerd? Der IT Freak, der ausgeflippte Technik baut, um nicht selbst mit den Leuten zu reden? Oder der Verletzte, der nur so seinem Käfig entfliehen kann? Dann Mia, das Gegenstück zu Simon, kommt mit exotischem, etwas punkigem Style daher, ist neu in der Klasse und lässt sich auf Simons Spiel mit der Videobrille ein. Die funktioniert wie FaceTime, die beiden können miteinander sprechen. Simon sieht, was Mia sieht, nur: die sieht ihn nicht, weiß nicht, wie er aussieht, bittet immer wieder, ihn besuchen zu dürfen. So lernen sich die beiden kennen.

© Cordula Treml

Anders als im Programmhaft angekündigt, spinnt sich kein digitales Netz, sondern eine Zweierbeziehung, die sich auf beide Figuren beschränkt. Dass Mia Simon nicht sieht, klingt nach Digitalisierung in den 2000er-Jahren, nach E-Mails, bei denen nicht bekannt ist, wie der Verfasser aussieht. Die Zielgruppe des Stückes, junge Menschen ab 14 Jahren, ist aber mit Instagram aufgewachsen, Kommunikation im digitalen Zeitalter funktioniert für sie nur über Bilder. Darum scheint die Sehnsucht, Simon einmal zu sehen, etwas fremd. Doch Simon möchte einfach nicht gesehen werde. Schließlich hatte er einen Unfall. Er hat so seine Autonomie verloren, Mia ihre Mutter, gemeinsam versuchen beide ihre Verluste zu verarbeiten. Bei dieser sehr gefühlvollen Handlung kommt der Aspekt der Anonymität, die Frage, wie sich Beziehungen verändern, wenn sie nur digital stattfinden, nicht zum Tragen. Alle Konflikte spielten sich ziemlich genau so ab, als wenn die beiden eine analoge Freundschaft statt eine Brille verbinden würde. Dabei bietet die Videobrille, mit der Simon von zuhause aus die Welt aus Mias Augen sehen kann, so viel Potential. Assoziationen zu Filmen Henry Joosts und Ariel Schulmans Nerve kommen da in die Köpfe, zu Kontrolle über eine andere Person, Anonymität, Vertrauen, zu Manipulation von Bildern und Profilen im Internet… Alle diese Themen spielen leider keine besondere Rolle.

© Cordula Treml

Auch Simon in seinem Gefängnis aus körperlichem Leid, Angst und Trauma bietet viel Potential, junge Zuschauer erinnert das vielleicht an Du neben mir aus dem Jahr 2017. Doch auch hier: neben der wenigen Sätze über Unfall und Angst, könnte Simon ebenso ein Stubenhocker sein, der nicht raus will. Hier werden viele relevante und emotional wertvolle Themen, die nicht nur für junges Publikum viele Gedanken und Gespräche wert wären, nicht angesprochen. Vielleicht sollte der Autor sich mit seiner Themenwahl auf die Alltagsrealität der eigenen Generation konzentrieren. Da es eine deutsche Erstaufführung ist, sollte der Text kurz angesprochen werden. Ursprünglich aus dem Norwegischen, passt die Wortwahl nicht so richtig ins Mundwerk von Schülern. Alltagssprache wird mit geschwollenen Phrasen vermischt und wirkt wenig glaubwürdig. Die Figuren bleiben damit oberflächlich, ihre Gefühlswelt wird dem Zuschauer nicht durch viele kleine Hinweise vermittelt, sondern platt aufs Brot geschmiert. Motto: „Meine Mutter ist weg, darum geht es mir schlecht, denn ich habe sie sehr geliebt.“ So klar und deutlich brauchen es auch Jugendliche nicht.

© Cordula Treml

Ein Grund, dass sich wahre Empathie nicht einstellt, kann in der Musik liegen: experimentelle, zeitgenössische Musik. Klingt spannend, macht in der Beschreibung richtig Bock und klingt in der Startszene als Sound eines Clubabends der Klassenparty auch gut. Dann wird es experimentell. Und bleibt so. Experimentelle Kompositionen und Percussions füllen, wie Stomp oder die Blue Man Group beweisen, große Hallen voller begeisterter Zuschauer. Vor allem die Begeisterung hielt sich bei Simon leider in Grenzen. Die Musik ist vor allem im ersten Teil Gequietsche und Geklapper, Geknarze und Gepfeife. Sie ist absichtlich disharmonisch und schief, der Gesang ebenso. Das kann richtig toll sein – niemand sagt, dass Musik oder Musiktheater so etwas nicht probieren sollte oder darf. In diesem Fall ist es aber eher nervig, der gesungene Text klingt nicht nach Melodie, sondern nach Übungen der Stimmaufwärmung. und man fragt sich, ob die Darsteller einfach den Text irgendwie singen statt zu sprechen, damit wir das hier Musiktheater nennen können. Nach 15 Minuten geht ein Zuschauer. Angekündigt ist die Musik als „die Handlung unterstützend und tragend“, die Klänge der Instrumente und der Gesang beider Darsteller wirken aber zu willkürlich, um das zu Geschehen unterstreichen. Im Gegenteil: eine gequietschte Zuneigungsbekundung ist nicht so stark wie eine gesprochene. Im zweiten Teil der einstündigen Vorstellung wird es etwas leiser, es entstehen schöne, spannende Momente der Verletzlichkeit, als Mia, die die ganze Zeit um ihre Mutter trauert, feststellt, was Simon wirklich zugestoßen ist. Die Ruhe und das langsame Tempo schaffen Klarheit und versöhnen mit dem Abend. Mia bringt Simon dazu, aus seinem Gefängnis auszubrechen und das erste Wort der beiden im richtigen Leben, das erste gesprochene Wort im Stück ist auch das letzte: „Hey“.

Die Schauburg traut sich hier viel, indem sie diesen Text und diese Musik auf die Bühne bringt. Das ist eine mutige Entscheidung. Vielleicht zu mutig. Typisch Schauburg sind Kostüme und Bühnenbild von Petra Weikert: gute und passende Arbeit. Die Fotos, die aus der Inszenierung entstehen, machen da wirklich Lust auf das Stück.
Die Regie von Sebastian Bauer ist zurückhaltend, Simon schwingt sich, als versuche er mehr und mehr zu gehen, immer wieder über seine Krücken, macht ansonsten aber nicht viel und Mia läuft zwischen Spielfläche und Zuschauer Fläche hin und her. Die Spielweise der beiden erinnert an dadaistische Kunst, vielleicht sogar an Brechts V-Effekt, getreu dem Motto: Und jetzt mal was total Willkürliches. Vielleicht haben die norwegischen Jugendlichen das Musiktheater-Stück auch wirklich gemocht und auch die Schauburg fährt damit einen Erfolg. Bei der Premiere sah es aber eher wie ein avantgardistischer Versuch aus, der eher in die Kompositionsklassen der Hochschule für Musik und Theater gehört, für Menschen, die mit Musik und Theater erfahren sind und sich daher auf so eine Produktion einlassen können. Dennoch wäre es sehr vermessen, bereits zu sagen, junge Theatergänge würden dieses Stück nicht verstehen oder mögen, daher: Reingehen, selbst sehen!

Kritik: Jana Taendler