„Zwei Häuser, beide gleich an Rang und Stand hier in der Stadt, entfachen alten Hass zu neuem Brand, bis Bürgerblut an Bürgerhänden klebt“ (W. Shakespeare: Romeo und Julia).
Wer eine Produktion des Klassikers „Romeo und Julia“ besucht, kann alles erwarten – außer Überraschungen. Shakespeares meist bekanntes und auch meist gespieltes Werk wird weltweit ständig neu erfunden und doch bleibt der altbekannte Stoff stets der gleiche. Das Gärtnerplatztheater feierte am 22.11.2018 die Premiere ihrer eigenen Version des Liebesdramas, aber nicht in der Form des klassischen Schauspiels, sondern als Ballett. Und obwohl die außerordentliche sportliche Leistung der Tänzerinnen und Tänzer nicht außer Acht gelassen werden darf, bietet „Romeo und Julia“ eine recht außergewöhnliche beziehungsweise gewöhnungsbedürftige Alternative des Klassikers.
Die bekannteste Liebesgeschichte der Literaturgeschichte: zwei Jugendliche aus lang verfeindeten Familien verlieben sich trotz aller Streitigkeiten ihrer Familie und heiraten heimlich. Romeo tötet auf eine Provokation hin einen Verwandten Julias und wird als Strafe verbannt. Da Julia nicht in die arrangierte Ehe einwilligen will, die ihre Eltern organisiert haben, täuscht sie mithilfe eines Schlaftranks kurzfristig ihren Tod vor. Romeo erfährt nur vom Tod Julias, aber nicht von ihrem Scheintod, eilt an ihr Grab und bringt sich um. Als Julia aus ihrem todesähnlichen Schlaf erwacht und den toten Romeo sieht, begeht auch sie Selbstmord.
Grundsätzlich mag es keine schlechte Idee sein, diese Tragödie als reines Tanzstück auf die Bühne zu bringen, nur leider verfangen sich die Motivideen der beiden Choreographinnen Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir in ihren Umsetzungen. Ihre klare Betonung der körperlichen Sexualität als einziger Bestandteil der Liebe zwischen den Figuren und die Reduzierung des Geschichtsstoffes auf das reine Kämpfen oder den Intimverkehr ist in unserer Zeit der „#metoo“-Debatten und Genderkämpfe zwar ein klares Statement, bringt dem Zuschauer an sich aber keine Freude. Wer traditionelles Ballett mit Tutus und Spitzenschuhen sucht, ist hier falsch. Leider kommt nämlich das Tanzen an sich ein bisschen zu kurz, da die Choreographinnen statt auf choreographierten Bewegungsablauf eher auf aneinandergereihte Bewegungsaktionen setzten. Dafür sind diese Aktionen dann vielfach in den verschiedenen Pärchen zu erkennen, die sich teils stöhnend, teils einfach nur sehr laut atmend, gegenseitig in Kunstblut tränken und dann in intensiven Körperwindungen über die Bühne kugeln oder hüpfen oder kriechen. Es erinnert an eine Massenorgie mit massiven Stechwunden und schwerwiegendem Blutverlust – aber das ist durchaus beabsichtigt.
Da hilft weder die facettenreiche musikalische Untermalung des Orchesters durch Sergej Prokofjews Werke unter der Leitung von Daniel Huppert noch das sich ständig wandelnde Bühnenbild, das mal mit goldenem Glitzervorhang und pinkem Boden und mal mit pinker Neonröhrenkunst in Herzform zu punkten versucht. Gefallen hieran können vor allem sehr aufgeschlossene und weltoffene Zuschauer finden, die auch mal etwas Neues sehen wollen, denen dann aber, wenn sie sich denn trauen, eine interessante und eventuell mehr verstörende statt verzaubernde Vorstellung bevorsteht.
Kritik: Anna Matthiesen