Roads – Filmkritik

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© STUDIOCANAL

 

Regisseur: Sebastian Schipper

Genre: Drama/Coming-Of-Age/Roadmovie

Produktionsland: Deutschland

Kinostart: 30. Mai 2019

Laufzeit: 1 Std. 39 Min.

 

Kino-Experiment Victoria von Sebastian Schipper krempelte die junge deutsche Filmlandschaft um. Doch damit hat es sich nicht getan: In der deutsch-französischen Produktion Roads nimmt er sich diplomatisch einer omnipräsenten Thematik an, ohne an einziger Stelle Überdruss zu bereiten. Hierfür holt er sich Dunkirk und Black Mirror: Bandersnatch Star Fionn Whitehead und den französischen Comedian Stéphane Bak an seine Seite.

Mit dem geklauten Wohnmobil seines Stiefvaters entflieht der Brite Gyllen (Fionn Whitehead) dem spießbürgerlichen Feriendomizil in Marokko und macht sich ohne Führerschein auf den Weg nach Frankreich. Unterwegs trifft er auf den Kongolesen William (Stéphane Bak), zu dem er nach kurzer Zeit eine wechselseitige Verbindung und Angewiesenheit empfindet. Zwei entgegengesetzte Schicksale verschmelzen und versuchen ihren Weg in einer erbarmungslosen Welt zu beschreiten.

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Sebastian Schippers eingefangene Atmosphäre, mitsamt Unschärfe und Körnigkeit der Nacht, gelblich mildem Straßenlaternenglühen und behutsam gleitenden Kamerabewegungen, erinnert an intime Aufnahmen warmer Nächte im Süden. Der so entstandene Dokumentarstil ermöglicht eine, durch lange Nahaufnahmen verstärkte, Immersion, die den Zuschauer gänzlich einnimmt und Teil der Reise beider Jugendlicher werden lässt. Stellenweise schwindet aus dem Gedächtnis, dass es sich um einen Spielfilm handelt und das nicht nur aufgrund der Filmästhetik: Gedreht wurde an echten Schauplätzen und mit echten Fluchtbetroffenen als Statisten.

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Die mitschwingende Authentizität manifestiert sich in den lebensnahen und eindringlichen Dialogen der Protagonisten, als auch der Komplexität der Figuren. Die hierfür gecasteten Hauptdarsteller Fionn Whitehead und Stéphane Bak hätten besser nicht gewählt werden können. Nicht nur Whiteheads Verkörperung des sinnsuchenden Rebellen Gyllen und Baks rabiate Emotionalität (oder die Verweigerung dieser) zielen treffsicher, selbst den kleinen Auftritt Moritz Bleibtreus als krimineller Althippie kauft man ohne Zögern ab. Zwischen die brüderliche Liebe Gyllens und Williams rückt die Subjektivität der Empfindsamkeit ins Zentrum. Die Frage danach, wie kontrastreich Wahrnehmungen je nach Lebensumstand sind und wie diese zu werten oder vergleichen sind, wird dem Zuschauer bis zum Ausklang hin auferlegt.

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Eine der beeindruckendsten Facetten von Roads bildet die ausgeklügelte Wandelbarkeit bis hin zum Geflüchtetendrama, abseits jeder Ziellosigkeit. Nach medialer Überflutung und filmischer Ausschöpfung unter dem Alarmbegriff “Flüchtlingskrise”, war dem Regisseur offenbar bewusst, dass er nicht nur eine andere Perspektive, sondern auch eine neue Herangehensweise finden musste. So kommt es, dass er uns eine Abbildung der Problematik liefert, wie sie von allen Seiten übernommen werden sollte: Eine Krise, die nicht mehr Krise, sondern fest in der westlichen Welt verankert ist und dementsprechend behandelt werden sollte. Weder tabuisiert noch zelebriert, sondern mit einer Selbstverständlichkeit als Teil des Alltags verlaufend, der filmisch auch ohne Überemotionalisierung auskommt. Gekrönt wird all das, wenn dem Zuschauer Verständnis zugetraut wird, indem es nicht als notwendig empfunden wird sein Werk überzuerklären.

Fazit: Mit Roads schafft Sebastian Schipper ein bewegendes Portrait von Zeitgeist, Geschwisterliebe und Lebensreise zweier zunächst Fremder. Schlagfertig, ideenreich und genuin spricht er dabei gekonnt einen allumfassenderen Gegenstand an.

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