Starre und Jubel – „Metamorphosen II“ im Gärtnerplatztheater (Kritik)

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Nachdem sich das Gärtnerplatztheater mit eigenem Ensemble und Orchester schon mit Methamorphosen I an Ovids Mythensammlung gewagt hatte, kommt mit Methamorphosen II folgerichtig die Steigerung auf die Bretter.
Dieses Mal in drei Einzelperformances geteilt, bleibt der Abend erneut bei einer knappen Stunde Spielzeit. Diese reißt das Publikum aber um wie die gesamte Palette des Wetters in diesem Sommer. Vom stimmungsvollen Nieselregen bis zum leidenschaftlichen Sommergewitter ist hier alles dabei!

Die erste Performance ist wenig von Tanzchoreographie und viel mehr vom Charakter einer Live-Performance geprägt. Sie beginnt mit einer Moderation, die durch eine Loop Station immer mehr zur Soundcollage der Performance wird. Dazu tanzt ein Performer wie tollwütig, eine andere schiebt stoische eine Sackkarre von einer Ecke der Bühne zur anderen. Das Orchester schweigt die meiste Zeit der Vorführung. Das Bühnenbild ist geprägt von herumstehenden Objekten, die die Darbietung noch surrealer machen. Als das Licht schwächer wird, erscheinen die DarstellerInnen nur noch als Silhouetten vor dem blau erleuchteten Hintergrund. Der Rhythmus der abstrusen Handlungen bleibt die meiste Zeit über gleich, schwächt sich jedoch zum Ende hin ab. Der eingesetzte Kontrobass wird auf der Bühne in seiner Körperlichkeit noch dominanter als er im Orchester ohnehin schon wäre. Mit Giacinto Scelsis ‚Le réveil profond erklingt erst ein sonores Brummen und Knarren, das sich dann zunehmend zur Melodie entwickelt. Und dann war’s das schon wieder mit Deukalion und Pyrrha.

© Marie-Laure Briane

Nachdem sich der Vorhang wieder hebt ist die Bühne völlig leer. Das Orchester bietet Bach, Schostakowitsch und Proto und die PerformerInnen tanzen auf die Bühne wie hypnotisiert und nur von der Musik getrieben. Die Bewegungen sind auf Töne, Lautstärke und Tempo so abgestimmt, dass man meint, die Körper würden allein von den Schallwellen der Musik bewegt. Ein wirklich beeindruckender Anblick. Der Musik folgt eine popkulturelle Klangcollage, die wie aus alten Duck Tales-Filmen zusammen geschnitten klingt. Diese Art Theater ist ein bisschen abgehoben. Nicht mit einer Geschichte, der jeder gut folgen kann und mit Tänzen, die hübsch anzusehen sind. Dennoch ist das Bühnengeschehen so beeindruckend, dass, auch wenn die Tänzer an einem Sommerabend in den Isarauen performen würden, keiner den Blick abwenden könnte.

Die dritte Performance an diesem Abend schließlich – Theiresias, ein Seher der griechischen Mythologie. Er gewährt dem Publikum zunächst den Blick auf embryohafte Gebilde in sich bei jeder Bewegung dehnenden Nylonpaketen. Erst nur eine Hand, ein Fuß, sind in dem Gewirr zu erkennen, schließlich der gesamte Körper. Stück für Stück lösen sich die TänzerInnen aus den Kokons. Sehr ruhig und dennoch sehr kraftvoll, ist dies wohl der stärkste Teil des Abends. Wegschauen ist praktisch unmöglich. Den Feinstrumpfhosen folgen bodenlange schwarze Röcke, die unter der Brust beginnen. Mit den nackten Oberkörpern erinnern die PerformerInnen an fernöstliche Mönche. Die Choreographie hingegen weckt Assoziationen zu Riten in geheimen Sekten. Die Musik wechselt von Teppo Hauta-ahos ‚Kadenza‘ zu Beats, wie man sie in München sonst im Club Rote Sonne finden würde. Dazu beben die Körper, wie geschüttelt vor der Erkenntnis, der Vorahnung, die Theiresias Macht und Fluch zugleich sind. Als sie endlich zu zittern aufhören, ist das Publikum so mitgerissen und in den Bann gezogen, dass es nach kurzer Starre in Jubel fällt. Jubel, den dieser Abend verdient. Der innovativ, zeitgemäß und dennoch unterhaltsam und sehr hochwertig ist!

Kritik: Jana Taendler