Das Gärtnerplatztheater präsentiert die wichtigsten Sammlung griechischer Mythologie in einer Reihe zweier kurzer Abende mit verschiedenen Mythen. Ovids Metamorphosen– sind sicher nicht der breiten Masse ein Begriff. Weil das auch dem Gärtnerplatztheater klar ist, wird schon auf der Website im Spielplan Klartext geschrieben: Es geht um Dädalus, Ikarus, Phaeton, Teiresias, Narziss und Echo. Die Methamorphosen sollen in zwei Inszenierungen (Methamorphosen I und Methamorphosen II) als Tanzperformances mit Orchesterbegleitung verarbeitet werden.
Mit einer knappen Stunde Laufzeit für Metamorphosen I, in der gleich zwei Mythen behandelt werden, handelt es sich also eher um einen kurzen tänzerischen Denkanstoß als um einen vollwertigen Tanztheaterabend. Wer nun glaubt, dem Publikum würde die Handlung von Dädalus und dessen Sohn Ikarus, die mit aus Wachs und Federn gebauten Flügen zu fliehen versuchen und von Narziss und Echo, dem selbstverliebten Halbgott und der gekränkten Göttin, vorgetanzt, der fehlt weit. Auch wer beide Mythen sehr genau kennt, vermag nur durch phantasievolle Interpretation einige Anspielungen erkennen. Das schadet dem Abend aber nicht, sofern man sich auf die Darbietung einlässt. Die Bewegungen der Tänzer beginnen ruckartig. Erst zuckelt eine Performerin auf die Bühne, dann langsam die nächsten. Nach wenigen Minuten werden die Bewegungen dynamischer und orientieren sich zusehend aneinander. Eine vollkommene Synchronität wird bei Ikarus und Dädalus jedoch nie erreicht. Es folgt ein Bewegungsablauf, der an Fallübungen im Kampfsport erinnert. Immer wieder hört man wie Gliedmaßen auf dem Boden klatschen, als könnten die TänzerInnen nicht richtig aufstehen. Obwohl keine Handlung in den Bewegungen zu lesen ist, fühlt man sich doch gefesselt, will nicht wegsehen.
Es folgt ein Solo, in dem der Performer von oben angestrahlt wird von einem der massiven Bühnenscheinwerfern. Kurz zuvor hatte sich das komplette Beleuchtungsgerüst ins Sichtfeld geschoben, wie eine gigantische Maschine. Licht, Körper und Bewegung kommen in diesem Soli zusammen und bilden in ihre Einfachheit eine spannungsgeladene Symbiose. Darauf folgt der ästhetisch stärkste Aspekt der ersten Performance: Nachdem Ikarus der Sonne zu nahe gekommen und gestürzt ist, also nachdem sich die Beleuchtungsmaschinerie wieder außer Sichtweite begeben hat, quält sich ein Performer mit ausgesprochen hohen Heels und dazu Krücken auf die Bühne. Es scheint, als könne er nicht richtig gehen auf diesen vier ‚Gliedmaßen‘ und erinnert damit an neugeborene Giraffen, die sich ob der Länge ihrer Beine schwer tun sich aufzurichten. Dies Bild ist für sich allein so stark, dass erst nach einer Weile auffällt, dass die Musik aufgehört hat. Was die Geste inhaltlich beitragen kann, fragt sich niemand. Zu vereinnahmend ist die Körperlichkeit und Ästhetik der Szene. Unterstützt wird diese Wirkung vom Kostümbild: anliegende hautfarbene Teile mit vereinzelten schwachen Farbakzenten lenken den Blick auf die Silhouette des Körpers, von der jede Sehne, jeder sich spannende Muskel zu sehen ist. Stück für Stück stoßen die anderen Tänzer, zum Teil mit großen Tiermasken, ebenfalls auf Krücken zu ihm, vom Band ertönen idyllisches Vogelgezwitscher und der Ruf einer Kuh, voralpine Geräuschkulisse. Nach kurzen intermezzo mit einer Puppe mit Hörnern, die umtanzt wird, waren das auch die 25 Minuten zu Dädalus und Ikarus.
Der Vorhang senkt sich und die zweite Besetzung fährt kurz darauf fort, mit dem Mythos des egomanischen Narziss und der verschmähten Nymphe Echo. Auch hier wird die literarische Vorlage sehr großzügig ausgelegt. Eine verspiegelte Fläche im Bühnenbild und eine Plastiknarzisse in einem Klumpen Knete, die zum Schluss auf die Bühne klatscht, sind wohl die direktesten Zitate.
Trotzdem macht diese Performance so viel Spaß, dass das Publikum schon zu Beginn vor Freude johlt! Im Kostüm einer quietschbunten 80er Jahre-Gymnastikgruppe präsentiert das Ensemble zur passenden Musik mit breitem Grinsen ein ‚Feel Good Workout‘, dass sich zwischen komisch und poppig einordnet und sowohl zum Grinsen als auch zum Mithopsen anregt, weil es, mit solcher Energie vorgetragen, das Publikum vereinnahmt. Zumal nach so intensivem, vergleichsweise langsamem Beginn des Abends.
Nachdem sich die Tänzer die Seele aus dem Leib gesteppt haben, verlassen sie die Bühne zu einer Tonkollage in englischer Sprache, in der sich über die schmerzenden Beine, den fehlenden Atem, die Anstrengung beklagt wird.
Es folgt eine dunkle Sequenz mit besagtem, teilweise verspiegeltem Teil des Bühnenbildes, hinter dem eine Kleiderstange voller Hemden hängt; dazu Absperrband um die Ränder der Bühne, die DarstellerInnen im Business Dress, wie sie vor und hinter der Spiegelwand synchrone Tanzbewegungen im zeitgenössischen Stil vollführen. Ist das nun Narziss, der sein Spiegelbild erblickt, nachdem er vorher, eitel und von allen geliebt, nicht genug bekommen konnte vom der Bewunderung anderer?
Beim Contemporary bleibend folgt ein Duell im Rhythmus des Sich-Ineinander-Schlingens und wieder Lösens. Wie im ersten Teil des Abends erscheinen die Bewegungen, die intensive Energie zwischen den Tänzern, so stark und präsent, dass sie genügen, um die Aufmerksamkeit zu fesseln. Dann, wie eine Farbbombe von oben: Platsch. Eine Narzisse steht auf der Bühne. Klappe zu – Narziss tot. Blume da und der Abend ist vorbei.
Alles in allem ein kurzer, spannender Abend, ziemlich intellektuell und sicher nicht für Jedermann/-frau, aber auch nicht zu abgehoben. Wir bleiben gespannt auf die weitere Bearbeitung Ovids Methamorphosen in Methamorphosen II.
Kritik: Jana Taendler