Big Swimmer – King Hannah im Strom (Bericht)

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Pfingstmontagabend, der 9. Juni: Dem Strom-Club strömt eine generational und subkulturell gut durchmische Gruppe von Musikliebhaber*innen zu. Was sie eint, ist die Hingabe an eine Geschichte, nämlich die von der Lebensenergie, die sich durch übersteuerte Gitarren hinein in Lethargie und Ziellosigkeit entlädt, und von einer Stimme, die durch das klangliche Chaos hindurch etwas Wesentliches vermeldet. Einladung zu solchen Hoffnungen geben King Hannah, das eigenwillige Indie-Rock-Duo, das seit einiger Zeit die einschlägigen Köpfe rotieren und Augenbrauen sich heben lässt.

Im schon vor Beginn des Konzerts heißen und stickigen Strom betritt der Support-Act Paul Holland die Bühne. Der Singer-Songwriter beschreibt sich selbst als im Indie-Folk verwurzelt, mit Einflüssen von Soul, Blues und Jazz. Seine 80-jährige Gitarre, die ihm das Stimmen mitunter schwer macht, hat er ebenso fest und stilsicher im Griff wie die musikalischen Traditionen, in die er sich einreiht. Er trägt seine Songs mit viel Nachdruck und Gefühl vor. Diese Ernsthaftigkeit sorgt vermutlich auch dafür, dass der süddeutsche Künstler von der dichtgepackten Halle wohlwollend aufgenommen und mit viel Applaus bestärkt wird. Holland singt mit Wechseln zur E-Gitarre über das Songwriting und den ständigen Kampf zwischen musikalischer Berufung und Sicherung des Lebensunterhalts. Dazu trägt er ein mit einer Kollegin geschriebenes Stück vor; um nach seinen Worten selbst nicht zu vergessen, worum es eigentlich geht. Nach einer Handvoll Stücken freut sich Paul Holland selbst auf King Hannah, die er heute zum ersten Mal live erleben darf.

Nach einer Umbaupause – inzwischen ist es schon recht spät geworden – ist es schließlich Zeit für den König: King Hannah, im Kern bestehend aus dem Liverpooler Duo Craig Whittle (v. a. Gitarre) und Hannah Merrick (Gesang, Gitarre), unterstützt von Bassist und Keyboarder Conor O’Shea und Schlagzeuger Jake Lipiec. Konnte man Merrick noch wenige Minuten zuvor in legerer Aufmachung am Merch-Stand begegnen, tritt sie nun dem Publikum aufrecht in einem ausladend gerüschten roten Kleid gegenüber, starrt ausdruckslos in die erwartungsvollen Gesichter und erzählt vor dem dräuenden Hintergrund instrumentaler Störgeräusche etwas von Thunfisch-Sandwich-Verkaufs-Automaten; das verträumt gesungene »that was a bad decision« zitiert den Untergang herbei, der schließlich im perfekt inszenierten Schrammel-Riff-Sturm auch hereinbricht. »Somewhere Near El Paso« ist wie viele andere Stücke der aktuellen Platte »Big Swimmer« inspiriert von Erfahrungen der ersten Amerika-Tournee der Band.

Die 2019 selbst herausgebrachte Debüt-Single »Crème Brûlée« verhalf zum Vertrag beim Plattenlabel City Slang, 2022 folgte das Album »I’m Not Sorry, I Was Just Being Me«. Stücke älterer Platten, die vereinzelt zwischen Songs von »Big Swimmer« gespielt werden, machen die Entwicklung der Band deutlich, die sich zwischen Indie-Rock und Shoegaze ausprobieren und auf zwanglose Weise ihre Idiosynkrasien pflegen. Merrick spielt mit dem Kunstfigürlichen, wenn sie sich als lakonische Chronistin des Absurden in Szene setzt, sich, anstatt wie viele ihrer Genre-Kolleg*innen die emotionale wie politische Eindeutigkeit zu suchen, in eine flirrende Unnahbarkeit zurückzieht. Zugleich aber bleibt die Band nah- und unmittelbar, sowohl im Kontakt mit dem Publikum als auch in der Performance. Die apokalyptische Coolness ist durchsetzt mit Miniaturen der alltäglichen Freude, Sorge, Liebe.

In »Go-Kart Kid (Hell No!)« tauchen die walisischen Wurzeln von Merrick auf, sie erzählt singend, traumartig vom Aufwachsen als wildes Mädchen, vom Go-Kart fahren, in der Nähe immer die Großeltern (›nanny‹ und ›taid‹, das nordwalisische Wort für Großvater). Das im Duett gesungene Americana-Stück »John Prine on the Radio« ist wunderbar ruhig und harmonisch. Zwischen dem Brathuhn im Ofen und dem Radiohören in der Küche tauchen aber unvermittelt Sätze wie »I hope I haven’t ruined your night« auf – typisch für Whittle/Merricks Songwriting. »Suddenly, Your Hand« ist eine Verneigung Richtung Bill Callahan: »He makes my heart feel warm, more than all other«. Der instrumentale Part trägt kraftvoll die deprimierten Gedanken des Songs – »You know a lot of them they don’t kill / but they torture still«, aber transportiert auch eine gewisse Sehnsucht.

»New York, Let’s Do Nothing« wird euphorisch vom Publikum aufgenommen, die sichtlich erfreute Hannah Merrick bedankt sich für den ausgiebigen Applaus und performt den nächsten Song schwungvoll und mit einem (wohltuend) unbedachten Lächeln. Die scheinbar auserzählte Geschichte von der authentischen Rockmusik erzählt sich unweigerlich weiter, wo ihr im transparenten Hantieren mit verschiedenen Masken das Lachen, Weinen oder Schreien auskommt.

Vielleicht als Belohnung für das enthusiastische Publikum voller ›größter Fans‹ (so zumindest die Rufe aus der ersten Reihe) wird als Zugabe nach dem letzten Stück »Crème Brûlée«, der wunderbaren Debütsingle, ein neuer Song von Merrick und Whittle im Duett vorgetragen, laut Merrick zum ersten Mal live. Es handelt sich um eine schlichte Folknummer mit dezenter Instrumentierung, die dem Duo – auch stimmlich – außerordentlich gut zu Gesicht steht.

Zu guter Letzt folgt die Titel-Single »Big Swimmer« und, wieder im Duett mit Craig Whittle, ein Gillian Welch-Cover, »Look At Miss Ohio«. Mit einer guten Stunde Spielzeit geht das Konzert schnell vorbei, doch die Band findet einen runden Abschluss, die Atmosphäre ist gut und lange Schlangen bilden sich vor dem Merch-Stand, wo sich die das Duo noch zum Plaudern, Signieren und Dankesagen einfindet.

Setlist: Somewhere Near El Paso / Milk Boy (I Love You) / Go-Kart Kid (Hell No!) / John Prine on the Radio / Suddenly, Your Hand / New York, Let’s Do Nothing / Davey Says / Leftovers / Crème Brûlée // Zugabe: (New Song) / Big Swimmer / Look At Miss Ohio (Gillian Welch-Cover)

Bericht: Julia Heuel & Tobias Jehle

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