Tanzcafé Memory, Eiscafé Venezia – Mathias Kellner im Lustspielhaus (Konzertbericht)

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Das Schwabinger Lustspielhaus ist am 11. Oktober 2018 um 19:30 bereits zu zwei Dritteln gefüllt, die Bewirtung läuft rege. Auch Mathias Kellner selbst lässt sich in den Reihen der Zuschauer blicken. Weit vorne sitzt er in gemütlicher Runde höchstselbst an einem Tisch, trinkt, unterhält sich, lacht. Von Aufregung keine Spur. Wieso auch. Der gebürtige Niederbayer spielt schließlich seit gut über einem Jahrzehnt vor Publikum dieser Größe. Mit seinen Programmen hat er bereits viele tausend Menschen begeistert, seine Solo-Alben wie unlängst Zeitmaschin‘ und Kettnkarussel schlugen in ganz Süddeutschland ein, die stimmungsvolle Rockmusik der Kellner-Band begeisterte schon internationale Größen wie Tito and Tarantula.

Die Bühne ist spartanisch: ein Tisch, ein Stuhl, eine Jumbo-Gitarre im Ständer, einige Effektpedale am Boden. Und als Kellner dann ohne großes Aufsehen die Bühne betritt, wird schnell klar, warum: Er braucht nicht mehr, um diesen Abend zu bestreiten. Keine Band, keine zehn Instrumente, keine Licht- und Lasershow. Er nimmt die Gitarre in die Hand und als man gerade noch meint, der erste Akkord diene nur der Überprüfung der Stimmung des Instruments, ist man unversehens schon mitten drin im Tanzcafé Memory. Ein Mann und eine Gitarre, das ist etwas, das man so nicht mehr oft sieht. Den nötigen Drive verleihen ihm seine gewaltige Stimme, das virtuose Gitarrenspiel und eine Stompbox, deren Bassdrum-Sound er gekonnt einsetzt. Was wären dagegen viele heutige Musiker ohne ihre Shows, ihre Tanzeinlagen, Background-Sängerinnen und glattgebügelten Backingtracks?

Bei Kellner daheim sei in seiner Kindheit stets Bayern 1 gelaufen, sagt er zwischen den ersten Songs. Nicht, weil der Sender der ganzen Familie so gut gefallen habe, sondern dem Vater, das habe gereicht. Doch eines habe ihn damals besonders mitgenommen: die großen Singer-Songwriter der 60er und 70er Jahre. Davon sei immer auch etwas in der Musik, die er schreibe. Etwas mit Wiedererkennungswert, wo man gleich nach den ersten Takten merke, wer da spielt oder singt. So fordert er, es müssten auch wieder ikonische Musiker groß werden und im Radio laufen, die eigentlich garnicht singen könnten.

Generell ist Mathias Kellner an diesem Abend ein großer Geschichtenerzähler. Nicht selten nehmen die überaus humorvollen Rückblicke aus seinem Leben einen größeren Teil ein als die Songs, auf die er damit hinführt. So erzählt er von der langweiligen Zeit auf dem unromantischen Hof seiner Großeltern, wo es schon einmal das Spannendste sein konnte, wenn der Handwerker zufälligerweise die Straße vor dem Haus entlanggefahren ist – die lange und gewitzt ausgestaltete Hinführung zum Song „De fadn Dog„. Er erzählt von den missglückten Flirts seiner Jugend, die dennoch zu den schönsten Erinnerungen zählen, seiner Schulzeit, für die er eine „Hassliebe ohne Liebe“ empfunden hat, der Berufsschulzeit in der Schreinerausbildung und schließlich auch von seinem Familienleben als Vater eines mittlerweile fünfjährigen Sohnes. Diesem widmet er die wunderbare Ballade „Löwenzahn„, in der er thematisiert, wie man Kindern die Welt erklärt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kellner mit Tanzcafé Memory ein ergreifendes Abendprogramm und ein sagenhaftes Album gelungen ist, das er übrigens selbst produziert, aufgenommen und auch abgemischt hat. Das Publikum ist so begeistert, dass Kellner selbst um eine zweite (ungeplante) Zugabe nicht herumkommt, für die er den Song „Paula“ von Hans-Jürgen Buchner auswählt, ein, wie er sagt, bayerisches Idol. Kellner zeigt außerdem, dass er auch spontan kann und seine lässige Art nicht einstudiert, sondern authentisch ist. Einen kleinen Texthänger im niederbayrischen „Hallelujah“ überspielt er auf charmante Art und reagiert an anderen Stellen souverän auf Reaktionen aus dem Publikum. Am Ausgang schließlich trifft man Mathias Kellner ein letztes Mal, seine CDs verkauft er nämlich alle persönlich. Doch nicht nur die Käufer von Tanzcafé Memory dürfen weiter in seiner Vergangenheit schwelgen. Er hat nämlich für jeden Besucher des Abends gratis die EP Eiscafé Venezia parat. Das Lustpielhaus entlässt schließlich die Gäste in eine angenehm kühle Herbstnacht und den sichtlich erschöpften Liedermacher nach dieser energievollen Perfomance in einen verdienten bayrischen Feierabend.

Setlist: Tanzcafé Memory / Soulstampfer / Matz von am Johr /  [Cover mit eig. Text] / De fadn Dog / Bushäusl / Vielleicht Vielleicht / Löwenzahn / Sturm / Kloana Bua / Zucker, Baby / Der seidne Fadn / Sysiphos / Zeitmaschin / Wunderbar – Zugaben: Hallelujah auf Niederbayrisch / Paula (Haindling Cover)

Bericht: Thomas Steinbrunner