Die Verbrennung auf dem Marienplatz – „Marienplatz“ aus dem Residenztheater (Kritik)

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Wussten Sie, dass sich vor drei Jahren ein Mann auf dem Marienplatz in Brand gesetzt hat? Auf der Suche nach einem Thema für das Theaterstück, das zu schreiben ihn das Residenztheater im Rahmen der Welt/Bühne bat, stolpert Beniamin M. Bukowski über genau dieses Ereignis. Resultat ist das Stück „Marienplatz“, welches am Sonntagabend live aus dem Residenztheater zum Stream angeboten wird. Zwischen drei Buden, die einem Christkindlmarkt entlehnt sind, befindet sich eine kleine Drehscheibe wie auf einem Spielplatz, auf der sich diese Selbstverbrennung symbolisch immer wiederholt. Nun da das Theater geschlossen hat, soll man es wenigstes am Computer sehen können: wo der Christkindlmarkt doch ausfällt, kann man ihn wenigstens auf der Bühne nachbauen. In allen Facetten wird sich dem Ereignis genähert, diesem ominösen Unbekannten, der sich nun selbst zur Fackel des vierten Advents gemacht hat. Doch beginnen wir am Anfang: im alten Testament. Denn bei Abraham und Isaak geht es auch um ein Feuer und einen Menschen, den zu opfernden Sohn Isaak, der wie ein Lamm aufs Opferfeuer soll.

© Sandra Then

Der Abend teilt sich in drei Handlungsstränge: Abraham und Isaak, die Verbrennung des Mannes auf dem Marienplatz, die Entstehung des Theatertextes inklusive Leben des Autors. Bei Mittlerem  muss zunächst einmal durchgespielt werden, wie das aussieht, wenn sich einer mit Benzin überschüttet und anzündet. Dabei geht die Inszenierung nicht über den nassen Schauspieler mit der Streichholzschachtel und jeder Menge Kunstnebel hinaus. Wir sind ja nicht bei Abramović. Es werden noch drei Rekonstruktionen des Vorgangs folgen, immer einem anderen Aspekt desselben gewidmet: Warum tut Jemand sowas? Und: ‚Wie fühlt es sich an zu verbrennen‘, fragt Thomas Lettow und entzündet ein Streichholz, erst als er die Hand ruckartig schüttelt, weil die kleine Flamme seine Finger erreicht, spricht er weiter. Dieses Zusammentreffen von Wort und Tat zeugt von der Überlegung, mit der Regisseur András Dömötör sich dem Text widmet.

© Sandra Then

Untermalt mit einer ergreifenden Einlage von Gesang und Live-Musik wird detailliert und geduldig beschrieben, wie sich eine Verbrennung physisch vollzieht. Dabei betrachtet Lettow allerdings lediglich gedankenverloren das abgebrannte Streichholz, das zwischen seinen Fingern wie ein Gerippe scheint. Wie die verschiedenen Hautschichten des Gewebe angegriffen werden, beschreibt er so anschaulich, dass selbst vor dem Bildschirm eine Gänsehaut aufkommt. Es zeugt vom Respekt vor einer solchen Tragödie, dass niemand versucht, einen vor Schmerz vergehenden, brennenden Menschen nachzuspielen. sowas kann man schließlich nicht und man sollte es auch nicht. Als man sich beim Streamen gerade zum ersten Mal fragen will, ob das jetzt provozieren oder zum Gedenken anregen will, wird genau das auf der Bühne diskutiert, im Rahmen einer Besprechung mit Assistenten und Dramaturgen und Moritz von Treufels, der den Autor verkörpert. Danach geht es wieder zurück zu Abraham (Hanna Scheibe). Er wird nun von zwei Polizisten verhört. Im Falle diese Stückes hat Gott Abraham aber nicht kurz vor dem Mord am Sohn aufgehalten und ihn für sein Vertrauen gelobt. Abraham hat zugestochen.

Beim Namenlosen auf dem Marienplatz wird weiter nach Spuren gesucht. „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“ soll auf seinem Auto gestanden haben. Aber auch: „Amri ist erst die Spitze des Eisberges“. Man rechnet und weiß: das Ereignis des brennenden Mannes fand wenige Monate nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz statt. Der sich einen Tag vor der Premiere von ‚Marienplatz‘ zum vierten Mal jährt. Am Ende geht es wieder um Faschismus, immer geht es im Theater um Faschismus, wenn Politik die Thematik ist. Jemanden, der sich in der Öffentlichkeit verbrennt, eine Stimme geben? Ja, das ist interessant. Um dann ist das einer, der vor seinem Tod auf Anis Amri referiert. Es schließt die vierte Rekonstruktion ab. Diesmal ist es Myriam Schröder, die sich den Kanister über den Kopf hält. Nur noch einige Tropfen kommen hervor. Man möge meinen: klar, der Kanister ist leer, ist ja jetzt auch schon drei mal gespielt worden. Aber dann ist es keine farblose Flüssigkeit mehr, sondern eine dunkelrote, die sich performativ übers Gesicht verteilt.

© Sandra Then

Doch keine Sorge, nicht in Schock und Bestürzung wird man aus dem Abend entlassen. So idyllisch und unschuldig wie die Xylophon spielenden Darsteller:innen in den verzierten Marktbuden am Anfang der 90 Minuten kommt auch das Ende daher: Mit einem netten Plausch zwischen Autor und Bäckerstandmädl. Die letzten Worte: ‚Wissen Sie eigentlich, dass sich vor drei Jahren ein Mann auf dem Marienplatz verbrannt hat?‘ Als könne man darüber noch ewig weiter philosophieren.

So geht eine sehr gelungene Regiearbeit zu Ende, die einen ebenso gelungenen Text verarbeitet. Die Verbindungen zwischen den Handlungssträngen hätten vielleicht noch etwas deutlicher hervortreten können, nichtsdestotrotz hat das Stück durchwegs sowohl unterhalten als auch zum Nachdenken angeregt. Dies gelang unter anderem aufgrund der Dramaturgie des Abends (Leila Etheridge). Sie ist für das Format des Livestreams passend und wird dem Text gerecht. Die Beschreibung des verbrennenden Körpers ist zum Beispiel gerade lang und intensiv genug, um das Publikum zu betreffen, aber nicht so lang, dass aus dem Stück ein Teilzeit-Thriller, eine Abhandlung von Horrorszenarien würde. Die Selbstreferenz des Stückes und Diskussionen über die eigene Aussagekraft machen sich aber nicht zu breit. So entsteht eine Art Verfremdungseffekt. Immer wieder distanziert man sich vom Kernthema, kommt aber zielsicher auch immer wieder darauf zurück. So wird deutlich, dass Livestream-Theater eben doch gut funktionieren kann, wenn es nur gut gemacht ist.

Kritik: Jana Taendler