Am Ende reckt er die Faust nach oben, das weiße T-Shirt verschwitzt, die gelben Rosen in der Hand, die ihm jemand auf die Bühne geworfen hat, und dann verbeugt sich Felix Kummer nochmal mit einem tiefen Knicks. Sichtlich gerührt von den Applauswellen, die an diesem Abend im Münchner Zenith nach fast keinem Song so richtig stoppen wollen – als ob man ihn doch noch zum Weitermachen anfeuern wolle. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als jedes Mal grinsend abzuwarten. „Ich werd’ mit jedem Abend ein wenig emotionaler“, sagt er noch und beendet das wohl letzte Konzert als Solokünstler in München.
So hat er es zumindest angekündigt. Ein einziges Hip-Hop-Album veröffentlichen (KIOX), das limitiert online und in einem eigens hochgezogenen Pop-up-Plattenladen verkauft wurde, und einmal so richtig damit touren. Wegen Corona alles etwas später als geplant – aber jetzt endlich am 11. September an einem Sonntag in München als fünftletztes Konzert seiner Abschlusstour. Ganz so final ist es natürlich nicht, zusammen mit seiner Band Kraftklub kehrt er schon am 18. November zurück ins Zenith – aber trotzdem, der Kummer-Sound ist ein ganz eigener, er lebt von den persönlichen Texten Kummers, die von Ängsten, dem Älterwerden, dem Tod oder den Nazis in seiner Heimatstadt Chemnitz handeln. In „Nicht die Musik“ rappt er passend dazu: „Ich mach‘ Rap wieder weich. Ich mach‘ Rap wieder traurig.“
Wer schon mal auf einem Kraftklub-Konzert war, kennt sehr wahrscheinlich auch die Vorband an diesem Abend: Blond. In der Band spielen neben Johann Bonitz am Bass und Synthesizer die Schwestern von Felix Kummer, Nina und Lotta Kummer. Ihre Tracks haben meistens einen tanzbaren Indiebeat, aber leider bleiben der Gesang und die kleinen Rapeinlagen repetitiv und monoton. Die versucht ironisch-witzigen Sprechteile dazwischen über ihren Merch oder Rosinenbrötchen fühlen sich zu lang und unkoordiniert an, die Outfitwechsel und abgespaceden Tanzbewegungen waren auch schon vor ein paar Jahren Teil der Blond-Show. Das Publikum klatscht brav mit nach Aufforderung, aber ansonsten bleibt es eher ruhiger.
Bis Kummer nach dem Einspielen von Lana del Reys melancholischen Sommerhit „Summertime Sadness“ die Bühne betritt und seine erste Singleauskopplung 9010 performt, für ihn hätte es kein Warm-up gebraucht. Schon ab dem zweiten Lied „Schiff“ gibt es die ersten Moshpits, seine neonorangene Bomberjacke zieht er bei der aufkommenden Hitze schnell aus. Ganz allein steht er auf der Bühne, nur ein riesiger Block ragt als Showelement im Hintergrund. Dieser dreht sich ab und zu und ist somit Projektionsfläche für kleine Filmchen zwischen den Songs, mit den befestigten Leuchten aber gleichzeitig auch eine Lichtershow. Allein ohne DJ oder Band, Tänzer:innen oder aufwändiger Bühnenshow für eineinhalb Stunden zu performen, birgt die Gefahr, dass es langweilig werden könnte, aber nein, dafür ist Kummer zu sehr Energiebündel, er springt hin- und her wie ein Flummi, und das Publikum macht es ihm nach.
Die Moshpits sind der rote Faden des Abends. Einmal hält er eine kurze Ansprache, dass alle aufeinander aufpassen sollten, als bei zwei Personen im vorderen Block der Kreislauf schlapp macht, spricht er es gleich an, dass geholfen werden solle. Der authentisch wirkende Charme ist das, was seine Fans feiern. Er erzählt, wie er am Tag zuvor am Marienplatz herumspaziert sei, von seinen neuen Unterhosen oder davon, wie gesund Münchner:innen eigentlich aussehen im Vergleich zu Leuten aus Berlin und Chemnitz – und nichts davon wirkt aufgesetzt oder angestrengt. Halb ironisch, halb echt sagt er ganz im Zeichen der Jugendwörter, wie wild der Abend sei, einfach anders.
Nach dem ersten Rapteil kommen Lotta und Nina nochmal auf die Bühne und singen mit ihm „Aber nein“ und den Charterfolg „Der letzte Song (Alles wird gut)“ in der langsameren Version – für viele ein Lied, das den melancholischen Zeitgeist während der Corona-Pandemie eingefangen hat.
Ein Kraftklub-Teil folgt, ausschließlich die 12 Songs des Albums zu spielen, wäre auch etwas zu kurz gewesen für den Abend. Die Version von „Schüsse in die Luft“ ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, weil sie hip-hopisiert ist, aber sie passt gut in das restliche Set rein. „Randale“ ist bekanntermaßen der eskalativste Song, ebenso „Wie viel ist dein Outfit wert“. Aber bevor alle denken, sie können nicht mehr, geht es – zumindest ein bisschen – ruhiger weiter. Eine Feature-Überraschung kommt. Der Münchner Rapper Felly rappt mit Kummer den Track „Dich mag keiner“, den sie zusammen mit den Produzenten Drunken Masters gemacht haben. Solide, auch wenn es nicht so wirkt, als ob die Münchner:innen den Rapper aus der eigenen Stadt schon gut kennen, vielleicht in Zukunft besser. „Der letzte Song (Alles wird gut)“ kommt nochmal in der Originalversion. Alle sind ekstatisch und grölen laut als Publikumschor die Hook mit, die eigentlich Fred Rabe von den Giant Rooks singt. Für die Zugabe kommt als erster Song einer der beliebtesten Lieder vom Album, „Bei dir“, und ganz zum Schluss die melancholisch schöne Hip-Hop-Ballade „Der Rest meines Lebens“, die wohl vielen Millennials im Publikum aus der Seele spricht.
Es macht die Konzerte bedeutender und emotionaler, wenn man weiß, dass es die letzten sind. Aber trotzdem ertappt man sich dabei, dass man sich wünscht, dass Kummer sein Versprechen vielleicht doch bricht und in fünf Jahren einfach nochmal ein Album kommt. Das wäre doch okay.
Setlist: 9010 / Schiff / Okay / Nicht die Musik / Aber nein / Der letzte Song (Alles wird gut) / Schüsse in die Luft / Ein Song reicht / Randale / Es tut wieder weh / 26 / Wie viel ist dein Outfit wert / Alle Jahre wieder/ Dich mag keiner (mit Felly) / 500k / Der letzte Song (Alles wird gut) / Ganz genau jetzt – Zugabe: Bei dir / Der Rest meines Lebens
Bericht: Katharina Holzinger