Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen – GOETHE VERBINDET in der Philharmonie (Kritik)

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Johann Wolfgang von Goethes Gedichtband West-östlicher Divan feiert dieses Jahr seinen 200. Geburtstag, die Münchner Symphoniker luden am 26. Oktober 2019 zu einer gebührenden Feier in die Philharmonie.

Auf dem Programm steht eine Uraufführung, die symphonische Dichtung Divan, komponiert vom Münchner ECHO-Preisträger Mehmet C. Yeşilçay. Mit von der Partie ist neben den Münchner Symphonikern unter der Leitung von Olivier Tardy das von Yeşilçay selbst gegründete Pera Ensemble, welches für die orientalischen Instrumente des Abends sorgt. Goethes Texte werden verbalisiert von einem fusionierten Chor aus dem Domchor München und der Capella Cathedralis, sowie den beiden Gesangssolisten Marie-Sophie Pollak und Bryan Lopez Gonzalez. Die gesprochenen Gedichtpassagen übernimmt Schauspieler Herbert Knaup.

Auch der Vorsitzende des Münchner Forums für Islam e.V, Benjamin Idriz, steht im Rahmen von Divan kurz auf der Bühne. Sein Beitrag ist der einzige auf Arabisch, der restliche gesungene und gesprochene Text ist durchgehend Deutsch.

Das Problem dabei: die Sprache ist besonders in der ersten Hälfte akustisch nicht deutlich zu verstehen. Zweitens ist Goethes Lyrik derart hochgestochen und komplex, dass es kaum genügt, ein Gedicht nach einmaligem Hören sofort zu begreifen. Es ist rätselhaft, wie Goethe als Bindeglied zwischen Ost und West fungieren soll, wenn seine humanistischen, in kunstvolle (und komplizierte) Verse gekleidete Botschaften nicht verstanden werden. Oder besteht der Anspruch, dass jede*r Konzertbesucher*in den West-östlichen Divan samt Interpretation auswendig kennen muss? Wenn dagegen nur die Kernintention des Gedichtbands ausreicht – den Osten dem Westen respektvoll nahe zu bringen –, dann hätte aber die Musik genügt. Yeşilçay schreibt im Programmheft, dass er mit Goethe verbindet eine Begegnung der Kulturen auf Augenhöhe herstellen möchte. Doch auch wenn Goethe sich noch so intensiv und offen mit Islam und Orient beschäftigt hat – er bleibt durch seine elitäre Sprache der deutsche Dichterfürst und stuft dadurch alle herab, die ihn nicht verstehen.

Die Musik erfüllt dagegen die Aufgabe, die Kulturen zusammenzubringen und gegenseitig zu bereichern. Zu Beginn der Komposition ist es noch sehr ungewohnt, den klassischen Klang eines Sinfonieorchesters durchmischt zu hören von orientalischen Instrumenten wie der Ney, einer orientalischen Flöte oder der Kemençe, einer Laute, die mit einem Bogen gestrichen wird. Doch es dauert nicht lange, da nimmt man das Pera Ensemble und die Münchner Symphoniker als Symbiose wahr. Ebenso ist die Komposition keineswegs ungefällig und schwer zugänglich, was sie vermutlich zu einem unkomplizierten Bindeglied der Gesellschaft(en) macht. Orientalisches und klassisches Tonmaterial fusionieren und entwickeln sich zusammen mit dem Chor regelmäßig zu prachtvollen Höhepunkten. Die Sopranistin des Abends, Marie-Sophie Pollak, harmoniert mit ihrem weichen, gefühlvollen Sopran sehr gut mit allen Musiker*innen, ebenso der kubanische Tenor Bryan Lopez Gonzalez. Wie die Intendantin der Münchner Symphoniker, Annette Josef, in ihrer Ansprache vor dem Konzert erzählt, stünden an diesem Abend 16 Nationalitäten gemeinsam auf der Bühne, man habe während der Probenarbeit viel über einander gelernt. Was bestätigt, dass die Sprache der Musik vielleicht mehr verbinden kann als es eine verbale Sprache vermag…

Der etwa halbvolle Saal jubelt auf jeden Fall, als Herbert Knaup am Ende des Werks eine „gute Nacht“ wünscht und das Licht ausgeht. Ja, es war ein interessantes Experiment, doch ob Goethe wirklich verbindet oder – auch O-Tönen aus dem Publikum nach zu urteilen – eher überfordert, bleibt an diesem Abend fraglich.

Kritik: Bea Mayer