Schon seit der Epoche der Romantik und E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ werden Dramatiker von der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine umgetrieben. Auch Mitte des 20. Jahrhunderts widmet der umstrittene Autor Ernst Jünger sein Stück „Gläserne Bienen“ der zunehmenden Technisierung. Sein Protagonist: Der ehemalige Soldat Richard, der nun versucht bei den Zapparoni-Werken anzuheuern, einem Unternehmen, das Zukunft gestaltet. In der Abschlussinszenierung von Jacqueline Reddington der Otto-Falkenberg-Schule wird dieser Bewerbungsprozess unter die Lupe genommen. In den Münchner Kammerspielen in der Kammer 2 feierte „Gläserne Bienen“ am 10. April 2019 vor mehr als ausverkauftem Raum Premiere.
Kjell Brutscheidt übernimmt den Richard. Anders als in der Textvorlage steht ihm nicht der Firmeninhaber gegenüber, sondern zwei übermotivierte Zapparoni-Mitarbeiter. Sie werden von Marcel Herrnsdorf und Nick Romeo Reimann verkörpert. Und das im wahrsten Sinne das Wortes, mit einseitiger schwarzer Kontaktlinse und teilweise Aussetzern beim Sprechen, schimmert schnell durch, dass diese beiden „Mitarbeiter aus der HR Abteilung“ wenigstens teilweise Roboter sind. Die beiden wirken wie eine Mischung aus überdrehten Staubsaugerverkäufern, die nach jedem Satz „wunderbar!“ rufen, und StartUp-Mitarbeitern, die sich einreden, unbezahlte Überstunden seien einfach flexible Arbeitszeiten und RealTeamSpirit. Diese komischen Figuren sind herrlich entworfen! Vor allem zu Beginn des Stückes hat das Publikum seine wahre Freunde. Mit aalglattem Äußeren, einem Dauergrinsen und der Fähigkeit, in zwei Minuten gefühlt 300 Produktnamen, die zwar fancy klingen, aber eigentlich nichts zu sagen haben, rauszuballern, bilden sie eine Parodie auf große Unternehmen und deren Verkaufsstrategien. In einem dreiseitig beleuchteten, zum Publikum geöffneten Raum wird Herr Richard in einer Mischung aus Gameshow, Stresstest und Persönlichkeitsinterview vernommen. Kurzer Spoiler hier: Ob er den Job bekommt bleibt offen, ob er ihm am Ende noch will auch.
Brutscheidt gibt den hoffnungsvollen, aber auch etwas überforderten Bewerber so, dass man direkt Mitleid bekommt. In seiner Haut möchte man nicht stecken. Immer wieder lächelt er verlegen, ist wirklich bemüht, alle noch so dämlichen Aufgaben zur vollen Zufriedenheit auszuführen und zugleich tief bedrückt, wenn er es einmal nicht schafft. Damit ist die Figur viel ambivalenter als die der beiden Kollegen. Auf weiten Teilen der Strecke bleibt Richard dennoch der verlegen Lachende. Die „Herren in grün“ fallen sich zwar ab und an versehentlich ins Wort, aber nie aus der Rolle. Diese, es ist für beide faktisch dieselbe, ist zwar gut gespielt, aber auch simpel. Das Motto heißt, den gehirngewaschenen Supermitarbeiter durchziehen! Immer grinsen, teilweise bis ins Beängstigende! Das machen beide ohne Zweifel ganz hervorragend, es ist aber auch nicht so komplex wie die Rolle des Richard. Witzig ist vor allem der Rhythmus, die Wiederholung der selben, übertrieben begeisterten Worte, die Aufzählung der absurden Produktnamen… da erinnern die beiden an Umpa Lumpas aus Willy Wonkas Schokoladenfabrik – nur dass sie keinen grünen Schleim essen, sondern grün angezogen sind. Wirklich treffend sind die Kostüme von Ji Hyung Nam. Die Mitarbeiter tragen schneeweiße Turnschuhe mit grün leuchtender Sohne, dazu weiße Hosen und knallgrüne Hemden, die Haare nach hinten und überall, wo nach Haut zu sehen ist, wird diese silbrig gehighlightet. Auch das ein Hinweis auf eine nicht ganz menschliche Erscheinung? Je absurder die Tests, desto extremer die Kostüme. Von Playmobil-Stil geht es zu Imkeranzügen, als sei Richard kein Bewerber mehr, sondern eine außergewöhnliche Lebensform. Auch dessen Kostüm passt sich an. Die zurückhaltender Alltagskleidung weicht einem gelben Regencape mit Verkabelung. Diese erinnert an medizinische Tests, die Kleidung transparent, die Firma möchte über den Bewerber ALLES wissen. Da passen Kostüm, Bühne und Aussage hervorragend zusammen. Sie spiegeln den schmalen Grad zwischen Spaß und Wahnsinn, Begeisterung und Gefahr wieder, der sich in der Textvorlage, aber vielleicht auch in großen Firmen wie Google für die Mitarbeiter auftut. Mit den BeeGees und Stayin‘ Alive hat das Stück einen Soundtrack, der zur Überdrehtheit passt und den nicht ganz lebendigen Zapparonis noch einmal einen ironischen Ton verleiht.
In der ersten Hälfte des Stückes wird treffend eine dystopische Situation etabliert, die unnahbaren Mitarbeiter, der arme Richard, verzweifelt aber auch kritisch. Reddington beweist hier viel Können: ob Witz, Absurdität, Peinlichkeit, sie schafft es, diese Stimmungen zu erzeugen. In der zweiten Hälfte wird diese Bewerbungssituation zwar fortgeführt, kommt aber nicht wirklich zu einem Schluss. Sicher, man mag als Zuschauer auch nicht vorgeschrieben bekommen, wer die Guten, wer die Bösen sind, ob Tragödie oder Happy End. Dieser Abend bleibt dennoch sehr offen. Es scheint, die so gut angelegte Situation führe schlussendlich nirgendwohin. Ein Ausblick wäre schön gewesen, hier bleibt noch etwas Potential unausgeschöpft. Dass mit dem Stück der Nerv der Zeit getroffen wird, ist trotzdem auf jeden Fall klar. Nicht zuletzt, weil genau am Tag nach der Premiere eine riesige Debatte um Wikileaks-Gründer Assange durch alle Kanäle geht und darüber, wie viele unserer Gespräche Amazons Alexa mithört. Diese Ansätze, diese Relevanz konnten in der Produktion zwar aufgegriffen, aber nicht auf den Punkt kanalisiert werden. Das ist schade, aber zugegebenermaßen auch ein wahnsinnig komplexes Unterfangen. Hoch anrechnen muss man in jeden Fall, dass das Stück kein plumpes Postulat gegen Überwachung und Digitalisierung ist und sich unheimlich gekannt zwischen Parodie und Dystopie hält.
Kritik: Jana Taendler