Carving A Giant – Gaahls Wyrd im Backstage (Bericht)

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Gaahls Wyrd Band
© Season of Mist
Gaerea Band
© Season of Mist

Kristian Eivind Espedal alias Gaahl scheint es in München zu gefallen. Der Norweger ist bekannt als ehemaliger Sänger der norwegischen Kult-Black Metal-Gruppe Gorgoroth. Nachdem Gaahl und Kollege King ov Hell (Bass) die Rechte am Bandnamen an Gitarrist Infernus verloren hatten, gründete ersterer Gaahls Wyrd, nachdem er sich zuvor mit noch einmal King ov Hell unter dem Namen God Seed zusammengetan hatte. Mit dieser Band trat Gaahl am vergangenen Montag, den 24. Oktober zum dritten Mal seit 2017 in München auf; wie die beiden vorherigen Konzerte fand auch dieses in der Backstage Halle statt. Setzte sich die Setlist der Band zunächst rein aus Coverversionen anderer Projekte, an denen Gaahl beteiligt gewesen war, zusammen, können die Wyrdianer inzwischen auf zwei eigenen Releases zurückblicken: »GastiR – Ghosts Invited« (2019), sowie die vor einem Jahr erschienene EP »The Humming Mountain«.

Mit von der Partie sind auf dieser Tour Gaerea und Winterfylleth. Erstere, Portugal-stämmig, beginnen pünktlich vor einer beachtlich großen Zuschauerzahl. Dass Gaahls Projekt auch bei wiederholtem Auftreten zuverlässig solche Zuschauerzahlen zuströmen, spricht von der (Live-)Qualität der Band, die sie auch an diesem Abend wieder unter Beweis stellen werden wird. Das Momentum von Gaahls Wyrd wäre deutlich schneller erschöpft gewesen, hätte die Band als einzigen USP die Live-Begegnung mit dem berüchtigten Satansbruder vorzuweisen. Gaerea spielen schnellen, melodischen Black Metal, sie spielen ihn engagiert, maskiert und mit großer Geste. Das geht gut ins Ohr, doch die exaltierte, hochdramatische Art, auf die die Band, insbesondere Sänger Guilherme Henriques ihr Material vorstellt, ermüdet schnell. Die Musik und ihre Inszenierung sind solide, auf Hochglanz gebürstete Genre-Topoi, die mit dieser Attitüde vorzubringen doch etwas Poser-haft wirkt.

Ursprünglich sollte das schottische Folk-Black Metal-Projekt Saor Gaahls Wyrd und Gaerea auf der gesamten Tour unterstützen. Im Juli gab Andy Marshall, der Mann hinter Saor jedoch bekannt, dass er nur die Konzerte bis zum 19. Oktober spielen könne. Als Ersatz wurden Winterfylleth aus England engagiert; dass nicht allen Anwesenden im Publikum dieser Line-Up-Wechsel klar war, lässt sich erkennen. Winterfylleth legen eine wohltuend unprätentiöse Attitüde an den Tag (und dürften auch musikalisch besser zu Gaahls Wyrd passen als die mitunter doch recht zuckrigen Saor). Die Band präsentiert ihre geschliffenen und einprägsamen Stücke unmaskiert und unbemalt, aber mit sichtlicher echter Spielfreude, die sich auch aufs Publikum überträgt. Einzig der Schreigesang von Zentralgitarrist Chris Naughton ist, obzwar druckvoll, auf die Dauer zu monoton, um nicht einem gewissen Abnutzungseffekt zu unterliegen.

Gaahls Wyrd 2017

Winterfylleth verabschieden sich um 21:15 Uhr; nun ist es Zeit. Gaahls Mannen betreten die Bühne, auch sie verzichten inzwischen auf Corpse Paint. Das Gebaren der Musiker wirkt zurückhaltender, weniger Show-fokussiert, als bei den vergangenen Auftritten. Gaahl tritt auf, seine Erscheinung unverändert, alterslos: Das geweißte, von vertikalen Linien gefurchte Gesicht, die Lederjacke, die abwesende, fast in sich gekehrte Haltung. Der eher getragene Opener »Ghosts Invited« dient als Aufwärmphase, ehe die Band mit den Gorgoroth-Klassikern »Carving a Giant« und »Wound Upon Wound« in die Vollen geht. Die Musiker beherrschen ihr Material und liefern es mit aller erforderlichen Präzision, Wucht und Dreckigkeit ab, was den Stücken aus Gaahls verzweigtem Schaffen mit Trelldom, Gorgoroth und God Seed, die sich klanglich auf den Originalaufnahmen mitunter recht deutlich von einander unterscheiden, eine gemeinsame Stimme verleiht. Die offensichtlichere gemeinsame Stimme aller Songs ist natürlich Gaahl selbst, der auch heute wieder auf ganzer Linie überzeugen kann, sich vielleicht noch ein wenig besser präsentiert, als bei früheren Gelegenheiten. Langsam schreitet er auf und ab und kreischt, singt heidnisch-hieratisch, beschwört, deklamiert, steigt gar in Falsett-nahe Höhen auf. Wenn »The Dwell« und »Awakening the Remains« von Wyrds aktueller EP die Richtung angeben, in die die Band sich bewegt, dann darf man auf künftige Alben mit Vorfreude blicken. Wie hier trve-norwegische Primitiv-Rasanz mit progressiven Elementen und einer ungemein vielseitigen Vocalperformance seitens Gaahl verknüpft wird, ist großes Kino. Zwar ist es unschwer zu erkennen, dass Espedal kein ausgebildeter Sänger ist, doch dessen ungeachtet oder vielleicht gerade dadurch gelingt es ihm insbesondere live, mit seiner Darbietung eine unvergleichliche Atmosphäre herzustellen. Nach fast zwei Stunden verabschieden sich Gaahls Wyrd mit dem God Seed-Song »Alt Liv« und haben sich ein weiteres Mal als einer der spannendsten und sehenswertesten Acts unter den noch aktiven Black Metal-Veteranen erwiesen. Gerne demnächst wieder.

Setlist: Ghosts Invited / Carving a Giant / Wound Upon Wound / The Humming Mountain / The Dwell / Awakening the Remains / Carving the Voices / Aldrande Tre / From the Spear / Slave til en kommende natt / Sannhet, Smerte og Død / Through and Past and Past / Exit – Through Carved Stones / Alt Liv

Bericht: Tobias Jehle