Große Gefühle für große Werke – „Feeling Faust“ im Volkstheater (Bericht)

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I feel you! Mit Feeling Faust widmete sich das Volkstheater DEM deutschen Dichter und Denker schlechthin. DEM Stück schlechthin! Am 28. Oktober 2022 feierte der knapp zweistündige Abend Premiere vor ausverkauftem Haus. Ist ja klar, schließlich ist Faust Pflichtprogramm. Oder nicht? Ist der Stoff vielleicht längst überholt? Von anderen Stoffen und Autoren wie Büchners Woyzeck oder gar Juli Zehs Corpus Delicti? Die lebt ja sogar noch! Diese Debatte illustriert Regisseurin Claudia Bossard mit dem achtköpfigen Ensemble zunächst in einem Szenenbild (Elisabeth Weiß), das Assoziationen mit einem Fernsehstudio, einer Talkshow-Runde weckt. Das Kostümbild mit Kleidung, das eher an die 80er-Jahre erinnern als an 2022, lässt vermuten, dass Formate vom Kaliber Literarisches Quartett eigentlich längst passé sind.

© Gabriela Neeb

Da treffen sich also die Akademiker und Literaturwissenschaftler und debattieren zwischen angeregt und aufgeregt eine ernüchternde Tatsache: Faust wurde deutschlandweit aus dem abiturrelevanten Literaturkanon gestrichen. Skandal? Oder überfällig? Oder keine Erwähnung wert? Schließlich setzt sich die Gesprächsrunde aus intellektuell völlig abgehobenen Koryphäen zusammen. Der Schriftsteller, Marke ‘Zerstreuter Professor’ (Janek Maudrich), die internationale Expertin, die viel Wert auf die Aussprache des unaussprechlichen Namens legt (Luise Deborah Daberkow) und ein unsicherer Moderator, der mit Situationen schnell überfordert ist (Steffen Link). Bereits in den ersten Minuten hat das Publikum einen Heidenspaß.

Es geht um Goethes Biografie, um Gefachsimpel, wie es nur eingefleischte Johannjünger zustande bringen, und man merkt: Hier soll der Weg bereitet werden für das, was da folgen mag. Schließlich kann man Goethe nicht spielen, ohne das große Image des deutschen Dichters. Zugleich wird das erste Mal deutlich: das große kulturelle Erbe, das Werk und Autor anhaftet, ebenso wie sie selbst, nimmt man bei Feeling Faust nicht zu ernst. Nachdem die angeheizte und zugleich längst überholte Debatte ihren Gipfel erreicht hat, bricht Maral Keshavarz endlich mit dem ersten Monolog der Szene Nacht heraus: “Habe nun, ach!, Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie…”

© Gabriela Neeb

Nach diesem langen Vorgeplänkel kommt der geschriene Monolog wie ein Donner und dann geht es richtig los: Ein fulminantes Spektakel mit Live-Video-Elementen, bunten Kostümen, klugen und witzigen Monologen, schönen Bildern und vielen vielen Faust-Zitaten. Die im zeitgenössischen Theater so verbreitete Technoszene, in der alle ihre Überforderung einfach nur heraustanzen, ist natürlich auch dabei. Ein schauspielerisches Highlight bietet die Transformation von Mephisto, die von Alexandros Koutsoulis sehr eindrücklich verkörpert wird. Hier lässt man sich viel Zeit und arbeitet genau, um eine intensive Stimmung zu erzeugen, wohingegen der Abend an anderen Stellen locker und unbedarft daherkommt.

Eines ist ganz klar: Hier wird dem Publikum nicht die Handlung vorgespielt. Wer Faust nicht kennt, versteht den Abend womöglich gar nicht. Doch wer Lust auf eine vielfältige Auseinandersetzung mit dem Text für Fortgeschrittene hat, der ist hier genau richtig! Hier wird Faust weniger vorgekaut, sondern die Stimmung, der Vibe des Stückes wird aufgegriffen – das Feeling eben!

Kritik: Jana Taendler