Alles in der Welt ist Posse – „Falstaff“ in der Staatsoper (Kritik)

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Es ist wohl die am meisten von der Krise gebeutelte Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper: „Falstaff“. Die Produktion unter der Leitung von Mateja Koležnik hätte bereits zu den Opernfestspielen im Sommer Premiere feiern sollen, dann wurde es aufgrund der Abstandsregelungen und der daraus resultierenden Absage der Opernfestspiele in den November geschoben. Nun ist die Staatsoper aber seit dem 2. November wieder geschlossen, der Lockdown light verbietet das Spielen vor Publikum. Noch einmal verschieben? Kommt nicht infrage! Nach einiger Überlegungszeit hat man sich für eine Livestream-Premiere entschieden – kostenfrei für alle verfügbar. Am Mittwoch, 2. Dezember 2020, 19 Uhr, sitzt man nun also nicht gut angezogen in den Sesseln des Nationaltheaters, sondern in Lümmelklamotten auf der heimischen Couch. Ein ungewöhnlicher Abend.

© Wilfried Hösl

Um 19 Uhr begrüßt Intendant Nikolaus Bachler das virtuelle Publikum und spricht von einer „doppelten Premiere“. Außerdem gibt er eine kurze inhaltliche Einführung und ordnet Giuseppe Verdis letzte Oper, die er im hohen Alter von 80 Jahren verfasste, in den Kontext ein. Bis tatsächlich der erste Ton erklingt, dauert es noch bis 19:10 Uhr – doch dann schreitet musikalischer Leiter Michele Mariotti gen Dirigentenpult und das Bayerische Staatsorchester legt los. Mit einem Schlag offenbart sich das Bühnenbild, und das zeigt sich: torreich. Allerlei Türen sind vorhanden, ein verwinkeltes Casino ergibt sich bei näherer Betrachtung. Koležnik erkennt dort sowohl die vermeintlich Reichen als auch wirklich Reichen – ein perfekter Ort also für Falstaff, Ford und co. Am Ende wandelt sich alles in einen lichterlohen Maskenball. Es bleibt wandelbar und vor allem in Bewegung. Verdis letzte Oper ist schnell, pausenlos und voller Geschehnisse – nur logisch, dass also auch die Türrahmen im Bühnenbild umherfahren und die Dynamik unterstützen. Ein cleverer Zug.

© Wilfried Hösl

Die Besetzung spricht wohl bereits beim Lesen für sich: Wolfgang Koch brilliert in selten gehörtem Facettenreichtum als Sir John Falstaff, als Gegenspieler steht ihm gebürtig und wirksam besetzt Boris Pinkhasovich als Ford entgegen. Galeano Salas und Elena Tsallagova mimen Fenton und Nanneto und strahlen als allen Widerständen zum Trotz liebendes Paar in der Produktion. Natürlich steigern sich die Verstrickungen und Rangeleien ins Endlose, als im Dritten Akt quasi alle verkleidet den jeweils anderen reinlegen wollen. Die abschließende Doppelhochzeit ist ein Highlight der Oper – und wird genau hier so minimalistisch und zeitgemäß wie möglich dargeboten. Plötzlich erscheinen die Solist*innen in Form einer Zoom-Konferenz inmitten der Bühne. Ob der Gesang noch live geschieht? Im Stream kaum bemerkbar. Die Beteiligten und das Kreativteam stellen sich nach und nach auf die Bühne, selbst der Dirigent gesellt sich dazu. Am Ende die enthusiastischen Klänge und letzten Noten des Staatsorchesters – während es stehend und starr reinblickt. Die Kamera schwenkt auf die leeren Ränge. Jemand da, der sich beschweren könnte? Es fehlt am Fernseher, am Computer, am Laptop oder am Handy genau das allerwichtigste: das Gefühl und Verständnis einer Live-Performance, der Erkenntnis von gerade Geschehenden. So flimmert die Premiere sprichwörtlich vorbei und wartet nur darauf, im Mai endlich vors Podium zu treten. „Ein jeder wird geprellt“.

Kritik: Ludwig Stadler