Leben für die Lust – „Don Juan“ im Residenztheater (Kritik)

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Eine Bühne auf der Bühne. Das ist das Erste, was ins Auge springt, wenn man den Saal des Residenztheaters betritt und gen Schauplatz-Rechteck lurt. Irgendwie klassisch und altmodisch, irgendwie dennoch außen recht zeitgemäß – und alles aus Holz. Das war aber schon ein wenig im Voraus klar, als wir uns auf den Weg machten, um der Premiere zu „Don Juan“ am 29. Juni 2018 im Residenztheater beizuwohnen. Interessanter als Molières Stück selbst dürfte allerdings der Mann sein, der es inszeniert: Frank Castorf. Der jahrzehntelange Intendant der Berliner Volksbühne und bahnbrechende Regisseur ist gern gesehener Gast am Resi und, nachdem er zuvor „Aus einem Totenhaus“ an der Bayerischen Staatsoper nebenan auf die Bühne brachte, direkt ins Staatsschauspiel gewechselt, um der bayerischen Landeshauptstadt wieder einmal eine eigenwillige und doch nur selten vorhersehbare Inszenierung zu bieten.

© Matthias Horn

Alle, die Castorfs Stil nicht kennen, müssen letztendlich zwei Sachen wissen: es geht sehr lange und das Bühnenbild ist mit tausend Details versehen. Allgemein ist die Bühne, die natürlich, wie auch in allen Inszenierungen zuvor, von Aleksandar Denič gestaltet wurde, wieder ein Haus, das von vier Seiten bespielt wird und dementsprechend überall seine Wirkung entfaltet – angenehmerweise aber mal keine dänische Holzhütte, sondern eine kleine Wohnung im Inneren, umgeben von Balkonen, einem Holz-Whirlpool und Ziegenstall (was auch sonst) und eben der Bühne auf der Bühne, die vor allem zu Beginn im Fokus steht. Selbstverständlich ist das ja nicht, dass so ein Bauwesen über vier Stunden Interesse und Entdeckungsmöglichkeiten bietet, glücklicherweise gelingt es hier und täuscht zeitweise über manch unsägliche Länge hinweg.

Die Handlung um den rebellischen, polygam lebenden und von sexueller Lust getriebenen Don Juan ist bekannt und wird auf das Mindeste beschränkt – viele Zwischen-Szenen kreuzen die französische Komödie und bringen etliche neue und unterschiedliche Sichtweisen auf den Begehrenden und zugleich Begehrten, ebenso aber fragende Gesichter, wenn dem Ku-Kux-Klan entsprungene Gestalten klingelnd das Bühnenbild umkreisen und die Antwort, was das jetzt im Kontext bedeuten soll, ausbleibt. Auch die drei Ziegen Onyx, Saphir und Rubina haben ihren größten Nutzen darin, gefüttert zu werden und im Kreis zu trotten, begleitet von Bibiana Beglau als Elvira. Kann man machen, wäre aber absolut nicht nötig gewesen.

© Matthias Horn

 

Die absoluten Gewinner des Theaterabends sind letztendlich die, die auf der Bühne stehen. Castorf hat das wunderbare Händchen dafür, die Darsteller auf einen langen Zeitraum körperlich als auch psychisch so intensiv zu fordern, dass sie an ihre Grenzen gehen und Leistungen vollbringen, die im üblichen Repertoire noch nicht zu sehen waren. Bestes Beispiel ist Marcel Heuperman als Pierrot, der sicherlich bereits in vielen Produktionen gut bis ausgezeichnet glänzen, aber nie so variabel, wuchernd laut und gleichzeitig so leise sein Potential zeigen konnte. Gleiches gilt für Nora Buzalka, die in „Die Räuber“ fast schon unterfordert wirkt; hier zeigt sich, was für außerordentliche Möglichkeiten in ihr stecken, wenn sie als Charlotte mit den Protagonisten rumbandelt. Das fraglose Highlight sind die beiden Don Juans und Sganarelles (sein Diener), die im Wechsel und daher als auch als Personen mit zwei Varianten verkörpert werden: einerseits von Aurel Manthei, andererseits von Franz Pätzold. Wie genau es Letzter schafft, innerhalb von zwei Monaten zwei Riesenwerke mit über vier Stunden Laufzeit als jeweils eine der Hauptrollen in Perfektion zu erlernen und darzubieten, bleibt wohl ein Rätsel, aber sein Don Juan hat die bisherigen und bereits längst überragenden Momente seiner Spielzeit-Rollen noch einmal übertrumpft – spätestens, wenn er im gespaltenen Monolog mit seinem eigenen Ich in Form von Manthei im Bett liegt und sich selbst anklagt und angreift.

© Matthias Horn

Die einzige, die leider etwas bei der Bühnenpräsenz von Heuperman, Buzalka und Pätzold untergeht, ist in dem Fall Bibiana Beglau. Die Rolle der Elvira ist wenig aussagekräftig ausgelegt und gibt ihr nicht die Möglichkeit, sich in ihrer einzigen großen Neuproduktion dieser Spielzeit zu beweisen; Beglau hat das in den letzten Jahren allerdings schon so häufig, dass man trotzdem von ihrer Klasse weiß. Auch dann, wenn sich die Laufzeit in der zweiten Hälfte doch arg bemerkbar macht und die Inszenierung sich in zu vielen Einzelszenen verliert – der rote Faden verschwimmt, die Monologe nehmen Überhand. Kurz bevor sich das in die Unendlichkeit steigert, ist es vorbei – und der Schlussapplaus beginnt, erstmals in dieser Spielzeit mit Hintergrundmusik. Doch, Gründe zu klatschen gibt es genügend: das übliche Spiel mit der Live-Technik hat bestens funktioniert, das Bühnenbild zeigt etliche tolle Aspekte, die Schauspieler gehen weit über die Grenzen dessen hinaus, was sie üblicherweise durchschreiten müssen und die Atmosphäre ist dank Musik und Einzelelementen düster-dreckig. Frank Castorf, der abschließend mit ordentlich Überzeugung auf die Bühne schreitet, hat München wieder einmal einen riesigen Brocken Details hinterlassen, die die nächsten Spielzeiten erfasst und verstanden werden können. Chapeu!

Kritik: Ludwig Stadler